Schach dem „Gazza“

■ Robert Hübner schlug Garri Kasparow mit dessen eigener, vor kurzem erst veröffentlichten Eröffnung

Dortmund (taz) — Ein Zug gab den nächsten. Ohne Not an Bedenkzeit führten Robert Hübner und Weltmeister Garri Kasparow fünf Züge im Eiltempo aus. Noch ehe die großmeisterlichen Kommentatoren beim Schachturnier in der Dortmunder Westfalenhalle begriffen hatte, was sich da abspielte, ergab das erste Zählen nach vierzig Zügen eine Mehrfigur für Hübner, kompensiert durch zwei gefährliche Freibauern Garri Kasparows.

Der 29jährige Moskauer muß es wohl als Erster verstanden haben: Kopfschüttelnd lief er im Turniersaal auf und ab, während Hübner sichtlich interessiert die veränderte Stellung taxierte. Der Inder Vishi Anand war der Erste, dem im Pressezentrum Glauben geschenkt wurde: „Gazza ist k.o.“, konstatierte er kurz. Und schon nahmen die schnellen Finger des Inders auf dem Analysebrett vor den Augen der immer noch ungläubig dreinschauenden Journalisten vorweg, wie es mit Kaparows Partie gleich zu Ende gehen würde. Die mehr als 500 applaudierenden Zuschauer im Turniersaal mußten beruhigt werden, um die spielende Großmeister nicht zu stören.

Bis Hübner schließlich gewonnen hatte. Sonst publikumsscheu bis paranoid, verteilte er für seine Verhältnisse geradezu enthemmt an zwei Dutzend Schachfans Autogramme. „Tatsächlich war die Leistung des 43jährigen stärkste deutschen Großmeisters großartig gewesen“, lobte der in Dortmund schon zum zweiten Mal Besiegte mit zusammengebissenen Zähnen. „Ich wollte zu brillant sein“, bereute Kasparow sein Springeropfer im 37. Zug einer hochklassigen Partie. Hübner, gewöhnlich eröffnungstheoretisch anfällig, wie er beim Desaster in nur 16 Zügen eine Runde zuvor gegen den lettischen Russen Schirow eindrucksvoll bewiesen hatte, war diesmal bestens vorbereitet. Er schlug Kasparow mit dessen eigenen Waffen: Bis zum 16. Zug folgte er einer Analyse der „königsindischen“ Verteidigung, die der Weltmeister kürzlich erst im 'Schach-Informator‘ veröffentlicht hatte. Vielleicht wird der Supertheoretiker Gazza seine Varianten künftig im eigenen Personal- Computer behalten.

Da Mitfavorit Wassili Iwantschuk (Ukraine) durch Zeitüberschreitung verlor, ging sein Bezwinger, der 25jährige Russe Jewgeni Barejew mit vier Punkten aus sechs Partien in Führung. Einen halben Punkt zurück liegen drei Runden vor Schluß Garri Kasparow, Iwantschuk und Salow. Robert Hübner folgt mit drei Punkten. Stefan Löffler