: Schmeichelnde Westwaren
■ Schlaglöcher und Gemeinplätze: Der verwirrte Weg der rumänischen Gemeinschaft
Schlaglöcher und Gemeinplätze:
Der verwirrte Weg der
rumänischen Gesellschaft
VONHELMUTHFRAUENDORFER
Vor der rumänischen Grenze stauen sich die Autokolonnen. Und selbst wenn nur wenige Pkws da sind, muß mit Wartezeiten bis zu einer Stunde gerechnet werden. Denn es geschieht nichts: Ein Soldat hütet den Schlagbaum. Grenzpolizisten und Zöllner sind nur selten zu sehen. Ab und zu schlendern sie vorbei, verschwinden in ihrem Häuschen und lassen die Leute warten. Und die Wartenden lassen sie fühlen, daß sie, die Vertreter der Behörde, es sind, die das Tempo hier bestimmen.
Anders als früher ist die Erwartungshaltung von Zöllnern und Grenzpolizei. Sie nehmen sich nun nicht mehr das Recht, von den Lebensmitteln oder Zigaretten, die sie in den Kofferräumen der Einreisenden sehen, sich einfach alles, was sie brauchen, anzueignen. Es wird nicht mehr lange dauern, bis es wieder soweit ist. Denn jetzt sind es die Einreisenden, die den Zöllnern vormachen, daß es doch noch so geschehen kann wie früher.
Vorwiegend Aussiedler, die zu Besuch kommen, schmeicheln den Zöllnern mit einer ganzen Tüte voller Westwaren und dem entsprechenden Bückling, wenn sie aus dem Wagen steigen. So bahnen sie den Weg zurück in die alten, allzu korrupten Zeiten. Oder aber es sind Autohändler, die in der ehemaligen DDR rumänische „Dacia“, die die meisten Besitzer für einen Spottpreis loswerden wollen, kaufen und in Rumänien teuer verkaufen. Solche Leute verschwinden dann zwecks langen Verhandlungen mit den Zöllnern hinter irgendwelchen Türen, wo der Zutritt verboten ist.
Und trotzdem: Selbst wenn es keine „Verhandlungen“ gibt, selbst wenn nur wenige Autos vor dem Schlagbaum stehen — man muß warten. Ein regloses Warten. Meistens aber ist es so, daß die Grenzübergänge mit Autos und Bussen vollgestopft sind, was oft zu einem unübersichtlichen Chaos führt.
Seit die Rumänen reisen und auch Ausländer nach Rumänien einreisen dürfen, hat noch niemand daran gedacht, mehr Grenzübergänge zu öffnen oder wenigstens die vorhandenen zu erweitern.
Alte Privilegien, neue Uniformen
Gegenüber Ausländern haben die Polizisten schon einiges dazugelernt. Bei routinemäßigen Verkehrskontrollen stellen sie sich mit ihrem Namen vor, grüßen und wünschen nach Durchsicht der Papiere sogar „Gute Reise!“.
Eine Raststätte bei Saliste. Lauwarme Speisen in unterkühlten Räumen. Durch die Fensterscheibe und die Vorhänge ist der „Salon“ zu sehen. Offensichtlich gut beheizt: Da sitzt einer mit weit geöffneter Jacke. Dort ist auch ein Farbfernseher. Von den fünf Tischen ist nur einer besetzt. In den „Salon“ darf sonst niemand hinein. Hier regiert der Lokalchef, und die Kellner reagieren prompt auf den kleinsten Wink von ihm. Beflissen und mit tiefen Verbeugungen versucht der Chef seinen Kunden jeden Wunsch zu erfüllen. Die Kunden: vier Polizisten, die ihre alten neuen Privilegien in den neuen Uniformen genießen. Zufrieden und ohne zu bezahlen verlassen sie nach einer Stunde das Lokal.
Es ist immer noch Winter in Rumänien. Im Januar waren die Straßen vereist und vorwiegend von Fuhrwerken benutzt, die eingefrorene Maisstengel, Äste, halbe Bäume transportierten — Heizmaterial. Menschen, die Handkarren oder Schlitten mit Geäst hinter sich herzogen, gehörten ebenfalls zum Straßenbild.
Im März tauchen die Schlaglöcher auf der unbeleuchteten Straße, die durch Siebenbürgen nach Bukarest führt, wieder auf. Kein Wunder, daß die Hälfte der Autos mit rumänischem Kennzeichen am Straßenrand stehen und repariert werden.
Alle fahrenden Pkws sind schwer beladen. Mit dem öffentlichen Überlandverkehr scheint es auch nicht so recht zu klappen. Überall in den Dörfern, am Straßenrand, winkende Leute, die mitfahren wollen.
In einem kleineren Ort halten wir an einem Bahnhof, um nach einem Telefon zu fragen. Es ist Abend, die Postämter haben bereits geschlossen. Eine schwache Glühbirne beleuchtet einen einzigen Raum im Bahnhofsgebäude. Im ungelüfteten, verqualmten Raum sitzen zwei Jugendliche vor archaischen Telefonen. Das nächste befände sich erst in der Kreishauptstadt, sechzig Kilometer weiter. Von ihren Apparaten aus könnten sie keine Verbindung herstellen, da sie nur mit dem Netz der Eisenbahn verbunden seien.
Im Bukarester Hotel erhalten wir Anmeldeformulare mit zweifelhaften Fragen: „Welche Firma vertreten Sie?“ „Zweck Ihres Aufenthaltes in Rumänien?“ „Mit welchen rumänischen Institutionen wollen Sie Verbindungen aufnehmen?“ „Welches ist Ihr nächstes Reiseziel?“
Der Alltag in Rumänien ist etwas farbenfroher geworden. Vor dem grauen Hintergrund der abgebröckelten Fassaden werden allerlei Dinge angeboten. Oft auch Westwaren. Die Leute springen von Pfützenrand zu Pfützenrand zwischen den Händlern. Doch nur wenige Menschen können sich etwas kaufen.
Wenn sich ein Gespräch unter mehreren Personen anbahnt, kommt es sofort zu Auseinandersetzungen. Ein Arbeiter hält den Bauern die hohen Preise ihrer Waren vor. Der Bauer beklagt sich über die hohen Preise der Schuhe, was wohl an den Arbeitern liege, und die er, der Bauer, sich nicht leisten könnte, wenn er seine Ware billiger verkaufen würde. Darauf entgegnet der Arbeiter, ohne sie gäbe es den Verkaufsstand und die Markthalle gar nicht, die den Bauern ermöglichen, ihre Waren hier zu verkaufen.
Wir kommen auch allein zurecht
„Wir sind alle dumm“, sagt mit traurigem Blick ein Käseverkäufer. — „Nein, das sind wir nicht“, empört sich eine Dame. „Wir sind ein stolzes Volk, wir werden auch nie von den Kapitalisten etwas erbetteln. Wir kommen auch allein zurecht. Aber es gibt zu viele Zigeuner bei uns. Die bringen uns in Verruf. Vor allem im Ausland.“
Als ich im vergangenen Jahr beim Präfekten von Constanta war, erklärte der Kreis-Polizeichef kurzerhand: „Die Zigeuner haben nie etwas Nützliches für die Gesellschaft getan, sie haben immer als Parasiten gelebt.“ In Kogalniceanu, einem Ort im Kreis Constanta, hatten die Dorfbewohner über dreißig Häuser von Roma angezündet. Die dortigen Behörden waren erst bereit, beim Wiederaufbau zu helfen, nachdem aus dem Ausland Gelder gespendet wurden. Der Präfekt befürchtete nun, daß es wieder zu Unruhen käme, weil die Roma bessere Häuser hätten als die Rumänen. Das geht nämlich nicht.
Eine Welle von Haß und Intoleranz schürt die Diskussionen auf der Straße. Die Quelle: Publikationen, die von ehemaligen Ceausescu- Schergen herausgegeben werden, wie 'Romania Mare‘,'Europa‘ u.a. Die Opfer: Minderheiten wie Roma, Juden und Ungarn. Doch ganz einig ist man sich in den einschlägigen Zeitungen noch nicht. Während einige bereits Ceausescu offen zu rehabilitieren versuchen, sind andere, ebenfalls auf dem nationalistischen Trip, bemüht, die Vergangenheit auf eigenartige Weise zu verdrängen. So heißt es neuerdings, daß Elena Ceausescu gar keine Rumänin gewesen sei, sondern eine Jüdin, denn ihr Vater hatte eine Kneipe. Das genügt als Beweis. Und Jüdin oder Jude reicht schon aus, um eine Verbrecherin oder ein Verbrecher zu sein.
Am Grab Ceausescus frage ich eine Frau, die dort Kerzen anzündet, warum sie das tue. „Er war ein Christ“, antwortet sie. Ich war erstaunt. „Und wenn er kein Christ war, dann war er doch mindestens ein Rumäne. Sollen die, die jetzt an der Macht sind, mal so viel leisten, wie er gemacht hat.“ Die Frau bückt sich, hält die Hände um die Kerze, damit der Wind sie nicht ausbläst.
Ich gucke Fernsehen. Im Parlament wird über die Verabschiedung des staatlichen Budgets diskutiert. Es geht um Gelder für eine neue Abteilung, die Informationsabteilung, die direkt dem Premierminister unterstellt ist. Die Parlamentsparteien sind sich zwar alle einig, daß eine solche Abteilung wichtig ist — denn Rumänien werde dauernd von ausländischen revisionistischen Mächten verleumdet —, aber an der Summe erhitzen sich die Gemüter.
Marktwirtschaft und Angst vor dem Chef
Ein deutsches Fernsehteam will in einem Restaurant der gehobenen Klasse drehen — Stimmungsbilder mit Orchester. Der Chef des Saales hatte das erlaubt. Nachdem die Kameras aufgebaut waren, wurde dem Team plötzlich das Filmen untersagt. Ein Kellner erhielt von einem der Tische einen Wink. Da saßen Parlamentarier. Und offensichtlich sollen Parlamentarier beim Essen und Trinken nicht gefilmt werden. Als ob das ein Verbrechen wäre. Der Chef des Saales war nicht mehr zu sehen. Der Oberchef müsse eine Genehmigung erteilen, erklärt der Kellner.
In Rumänien hat sich vieles geändert — vieles ist beim alten geblieben. Vor allem aber sind die Bücklinge, das unterwürfige Verhalten der Menschen, geblieben: die Angst vor dem Chef.
In Bukarest gehe ich in eine Wechselstube. Ich will 50 DM in Lei wechseln. Der Kurs liegt bei 1:220. Ich lege einen Fünfzigmarkschein auf das Pult und spreche rumänisch. Da sagt die Frau hinter dem Schalter, sie nehme keine DM an. Ich bin völlig perplex. Ja, sie habe sämtliches Geld mit DM blockiert, sie habe zu viel deutsches Geld gekauft, und seit zwei Tagen habe niemand DM wollen. Wenn sie in den nächsten Tagen wieder DM loswerden könne, dann werde sie auch wieder deutsche Währung umtauschen. Jetzt ginge das nicht. Sie kaufe nur US-Dollar, so sei das mit der Marktwirtschaft.
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