Kommerzfunk der konsequentesten Form

„Business Radio“, das Autoradio für den Einkaufswagen, soll die Konsumenten im Supermarkt fernsteuern  ■ Von Jürgen Bischoff

„Hey — hier ist ,Radio Supermarkt‘!“, tiriliert ein locker-flockiger Jingle-Chor auf einer Demo- Cassette der AKK-Sendezentrale Ludwigshafen. Die Nachfolgegesellschaft des einstigen ersten deutschen Kabelpilotprojekts ist auf der Suche nach neuen Tätigkeitsfeldern, und Rainer Sura, Geschäftsführer der AKK-Sendezentrale, meint sie in der Produktion eines eigenen Radioprogramms für den Einzelhandel gefunden zu haben. In diesen Wochen soll das AKK-„Business-Radio“ auf Sender gehen.

Vorbei sind die Zeiten der Muzak, der psychologisch ausgeklügelten, langweiligen Warenhausmusik, die zum Kauf animieren soll. Per Cassettengerät wird sie in die Lautsprecher der Supermärkte eingespielt. Der Einzelhandel muß Lizenzgebühren an die amerikanische „Muzak“- Company oder die englische „Ready-Tune“ bezahlen, die die Geschäfte mit den geeigneten Anlagen ausstatten und der GEMA-freien Musik versorgen. Für die Werbeeinblendungen zu den aktuellen Sonderangeboten muß die FilialleiterIn oft höchstpersönlich zum Mikrophon greifen.

Nun darf Rock-Musik gespielt werden, ohne daß die Einzelhändler befürchten müssen, daß die Kunden vor Schreck über aggressive Rhythmen ihre Kaufimpulse verdrängen. Niklas Doose von „Radio Point-of- Sale“ (POS), einem Kieler Sender, der schon seit August 1990 in deutsche Supermärkte strahlt: „Es soll ein flüssiger musikalischer Übergang zwischen Zuhause, Autoradio und Supermarkt stattfinden.“ Sowohl „Radio POS“ als auch das AKK-„Business-Radio“ setzen auf ein locker-flockiges Programm mit bekannten Melodien, Wetterberichten und Horoskopen. Aber auch aktuelle Meldungen sollen nicht fehlen — zumindest dann, wenn sie einen gewissen Bezug zu den Anliegen des Einzelhandels aufweisen.

So präsentiert „Radio POS“ auf seiner Demo-Cassette als Beispiel die Reaktion einer Einzelhandelskette auf behördliche Warnungen vor hormonverseuchtem Fleisch: „Sehr verehrte Kunden. Vielleicht haben auch Sie heute morgen die aufsehenerregende Meldung vom BSE- Rindfleischskandal gehört, die durch Funk und Presse ging. In unserer Fleischabteilung können sie zum Glück ohne Befürchtung einkaufen, denn wir beziehen unser Fleisch ausschließlich von besten Mastrindern aus Schleswig-Holstein. Der Landwirtschaftsminister garantiert, daß diese Rinder unter keinen Umständen mit dem bekanntgewordenen Virus infiziert sein können.“

In hektischer Privatfunkmanier galoppiert die Moderatorin dermaßen durch das fröhliche Programm, daß man sehnsüchtig auf die vergleichsweise ruhigen Werbespots der Markenartikelindustrie wartet. Und die ist die Kuh, die gemolken werden soll. Statt der Lizenzgebühren an „Muzak“ und Co. fallen nun sogar Werbeeinnahmen für die Supermärkte ab. Rainer Sura von der AKK: „Wir werden bis zu 50 Prozent der Werbeeinnahmen an die jeweilige Filiale ausschütten.“ Auch „Radio POS“ verspricht ähnlich hohe Ausschüttungen. Andererseits profitiert die werbetreibende Industrie von der gezielten Ansprache der Kunden im Laden: „Radio POS“ verspricht — gestützt auf eine Infratest-Marktforschungsstudie — eine durchschnittliche Umsatzsteigerung von 40 bis 60 Prozent durch die Spots direkt im Laden. Da fällt mensch es dann viel leichter, zur „Ritter-Sport“ zu greifen statt zur „Milka“, denn die lila Kuh hat nun mal nicht im richtigen Moment geblökt. [Kann sie auch gar nicht, denn nur Schafe blöken; die Kuh hingegen muht; d.S.] Durch die Technik des digitalen Satellitenradios, über die die Programme in die Läden übertragen werden sollen, ist es dabei möglich, die Supermärkte einzeln mit der Werbebotschaft anzusteuern. Das kann bedeuten, daß in dem einen Laden für Coca-Cola geworben wird und in dem anderen für Pepsi-Cola, während das sonstige Musikprogramm und die Moderation gleich bleiben.

Gegen Abend wird die Musik rockiger. Inzwischen sind die Studenten aufgestanden, und auch die jungen Berufstätigen drängen kurz vor Ladenschluß in die Läden. Das seichte Musikprogramm aus der Vormittagszeit, wenn vor allen Dingen die Hausfrauen und die Rentner einkaufen gehen, bringt's nun nicht mehr so. Am langen Donnerstag wird abends besonders darauf Wert gelegt, auch die Männer anzusprechen. Dann wird Papi — nach den Vorstellungen der „Business-Radio“-Macher — nämlich von Mami zum Einkaufsabend in die Innenstadt geschleppt, und nun gehört er zur bevorzugten Zielgruppe: da war noch die Autopolitur, mit der er am Samstag herumwienern will...

Mehr als 750 Einzelhandelsfilialen hatte „Radio POS“ Mitte Februar schon unter Vertrag. Im Laufe dieses Jahres soll sich diese Zahl mehr als verdoppeln, denn allein die Saarbrücker ASKO-Holding will 900 ihrer 1.300 Filialen mit Empfangsgeräten für das Ladenradio aus Kiel ausstatten. Schon jetzt sind Filialen von coop, Divi, Edeka, Kaiser's, Lidl, Massa, Rewe und Schlecker an die Satellitenberieselung angeschlossen. „Radio POS“ produziert sein Programm beim Hamburger Privatradio „OK Radio“, vermarktet werden die Werbeblöcke — sechs Minuten pro Stunde — vom Berliner Kommerzfunk „Radio 100,6“, dem Radio der Berliner Baulöwen.

Niklas Doose von „Radio Point- of-Sale“: „Wir sind inzwischen der siebtgrößte deutsche Privatsender.“ Dies allerdings in einer rechtlichen Grauzone: noch immer sendet „Radio POS“ über den Bundespost-Satelliten „Kopernikus“ als Betriebsversuch aufgrund einer „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ der Kieler „Unabhängigen Landesanstalt für Rundfunkwesen“ (ULR). Weder die alten noch die neuen Rundfunkstaatsverträge sehen die Zulassung eines derartigen Rundfunkprogramms vor, das inhaltlich kaum den Mindestansprüchen an Information und Kultur genügen dürfte, die bislang an ein Vollprogramm gestellt werden. Und um ein solches handelt es sich selbst nach Auffassung von „Radio POS“, die inzwischen eine Vollprogramm-Lizenz beantragt haben. Derzeit befassen sich die Rundfunkreferenten der Staatskanzleien mit dem Problem. Eine Lösung ist dringend vonnöten, denn auch das AKK-„Business-Radio“ aus Ludwigshafen drängt auf eine klare gesetzliche Grundlage für seine Aktivitäten. Doch die Referenten eiern herum. Nach Angaben von Dr. Hans-Henning Arnold aus der Düsseldorfer Staatskanzlei will man in den nächsten Wochen zu einer Regelung kommen. Wie die aussieht? Arnold: „Man könnte die Zulassung beispielsweise aus den Vorschriften für Rundfunk in Anstalten ableiten.“

Welche Art von Anstalt mag angesichts der permanenten Werbeberieselung damit wohl gemeint sein?