Gegen die „hörbare Einsamkeit“

'Radio-Kultur‘ — eine eigene Programmzeitschrift für die Berliner Kulturwelle SFB3  ■ Von Achim Baum

Im vergangenen Monat wurden die Mitarbeiter von SFB3 durch eine Art von Pressemeldung aufgeschreckt, die nach der deutschen Einigung eher die JournalistInnen in den neuen Bundesländern zu beängstigen pflegte. Der Sender Freies Berlin und der Hessische Rundfunk in Frankfurt würden demnächst ihre Klassik- und Kulturprogramme (SFB3 und hr2) zusammenlegen, hieß es da. Ein detailliertes Konzept für die „Integration“ der beiden Wellen liege bereits vor.

Der mit der „Luftbrücke“ geplante personelle und programmliche Aderlaß führte wohl in der Masurenallee zu einer kleinen Palastrevolte. Und seitdem hört man beim SFB wenig über die Fusionsabsichten. Intendant von Lojewski, der vor allem die hohen Kosten für das dritte Hörfunkprogramm als Grund anführt, will denn auch über die weitere Entwicklung nichts mehr sagen. Man halte nach neuen Kooperationspartnern Ausschau, antwortete er vielsagend auf drängende Journalistenfragen. Und es klang so, als wollte ein überforderter Quacksalber seinem verängstigten Patienten eine Amputation verschweigen, indem er über die Schönheit von Prothesen spricht.

Daß gerade in diesem Moment die MacherInnen von SFB3 mit einer Neuerung hervortraten, ist der schiere Glücksfall. 'Radio-Kultur‘, die „erste spartenbezogene Programmzeitschrift der ARD“, richtet alle Aufmerksamkeit auf den Kulturkanal des Senders Freies Berlin. 'Radio-Kultur‘ soll den HörerInnen von SFB3 einmal im Monat eine umfassende Programmübersicht über ihre Welle geben. Außerdem werden Hintergründe des Programms beleuchtet, Kultursendungen der übrigen Kanäle sowie Veranstaltungen des SFB angekündigt. 'Radio-Kultur‘ löst zugleich die verschiedenen Heftchen und Informationsblätter ab, die den interessierten HörerInnen bisher gratis, wenn auch mit dem Charme hektographierter Bierzeitungen angeboten wurden. 4,80DM („Schutzgebühr“) kostet das Magazin und ist an 400 Kiosken Berlins oder direkt im Abo beim SFB zu haben.

Die erste Ausgabe (April) stelzt zwar noch ein wenig steif mit Grußwort und Absichtserklärungen über die Schwelle. Doch schon der einleitende Essay des Publizisten und Kommunikationsphilosophen Harry Pross — er allein wäre Programm genug gewesen für 'Radio-Kultur‘ — zeigt, wo es hingehen soll. Das Radiohören sei eine Kunst, sagt Pross in Anlehnung an Rudolf Arnheim. In einer Stadt wie Berlin gelte das allemal. Und die Reste der aufmerksamen Zeit bedürften der dringenden Pflege durch die JournalistInnen und ihr Publikum. Wenn die Ohren erst einmal zufallen, „dann wird die Einsamkeit hörbar“.

'Radio-Kultur‘ regt zum Gegenteil an. Die ausführlichen Programmhinweise (mit ergänzenden Beiträgen unter anderem über Arthur Koestler, über Bachs Wohltemperiertes Klavier und einem Interview mit Joseph Brodsky) erlauben die überlegte Auswahl einzelner Sendungen und Sendereihen. Daß viele HörerInnen erwiesenermaßen mit der Einstellung ans Radio gehen, einen stillen Dialog zu beginnen, wird hier mit Händen greifbar. Wenn der sogenannte „Rezipient“ auf diese Weise aktiv sein eigenes Programm gestalten kann, muß das Radio tatsächlich „keine Einbahnstraße bleiben“, wie Pross meint. 'Radio-Kultur‘ bietet darüber hinaus — das ist nicht zuletzt auch die Intention der Macher — die Möglichkeit zum direkten Dialog mit dem Publikum. Dafür wünscht man sich in den nächsten Ausgaben von 'Radio-Kultur‘ ausreichend Platz.

SFB3 gehört, was die Einschaltzahlen angeht, zu den Schlußlichtern in der Berliner Hörfunklandschaft. Nur 80.000 Zuhörer suchen im Durchschnitt die Frequenz der Kulturwelle. Doch die Bindung an das Radio steigt in den letzten Jahren überall. Hörfunk-Journalismus gewinnt beim Publikum an Glaubwürdikgeit. Dazu kann 'Radio-Kultur‘ mit Sicherheit einen Beitrag leisten. Wenn auch das Überleben von SFB3 damit keineswegs garantiert ist. Allmählich wird es Zeit, daß sich das Publikum einmischt.