Sonst lügt er, oder er ist blöd

■ Christoph Wagner sprach mit dem bayerischen Entertainer Georg Ringswandl über die Kunst der Unterhaltung, das Denken im Dialekt und die Folgen kultureller Gleichschaltung

taz: Es ist nicht leicht, für dein Metier eine passende Beschreibung zu finden. Was ist das für ein Genre? Ist es bayerischer Polit-Rock, was du machst, oder Clownereien für Intellektuelle? Siehst du dich als anarchistischen Kabarettisten oder eher als exzentrisch-schrillen Punk-Opa?

Georg Ringswandl: Was ich mache, ist eine spezielle Art von Entertainment. Es gibt ja verschiedene Möglichkeiten, einen unterhaltsamen Abend zu verbringen. Man kann in Operetten gehen, oder in die Oper oder zum Jazz. Man kann sich auch Thomas Gottschalk im Fernsehen anschauen, oder eine Talkshow oder die Samstagabend-Unterhaltungsshow. Was ich mache, ist im Prinzip nichts anderes: eine Entertainment- Show wie andere auch. Natürlich eine Abendunterhaltung wie ich sie mir idealerweise vorstelle. Wenn ich mir überlege, wo ich gerne hingehen und was ich mir gerne anschauen würde, dann hab' ich da ganz spezielle Vorstellungen, und an diesem Idealbild arbeite ich. Das darf nicht nur Gequatsche sein, nicht nur Reden. Zwei Stunden lang nur monologisierendes Kabarett zu hören, das ist zu hart. Aber ich mag auch nicht zwei Stunden lang irgendeine Rockband englische Texte singen hören. Also muß meine Idealshow Wortteile haben, wo erzählt wird, und sie muß Musikteile haben. Auf der Bühne muß es bunt zugehen. Es muß etwas los sein, es müssen Showelemente da sein: Ein unterhaltsamer Abend muß verschiedene Komponenten haben. Außer die Zuhörer sind komplette Asketen und hören sich ein Solotrompetenkonzert zwei Stunden lang an.

Eine Oper ist ja auch nichts anderes, oder Sammy Davis jr. Natürlich kann man heute keine Unterhaltungsshows in diesem Stil mehr machen, höchstens noch in Las Vegas. Wirklich gut ist die Sache auch nur dann, wenn es nicht einfach eine blöde Glitzershow ist, die irgendeine Traumwelt repräsentiert, was der Nachteil ist von Karl Moik oder Gottschalk. Was uns nicht behagt an diesen Shows ist doch, daß sie mit unserem tatsächlichen Alltag, mit unserer realen Existenz nichts zu tun haben. Wir finden uns darin nicht wieder. Es wird einem irgendwie Kitsch vorgesetzt, Blabla, einfallsloses Zeug, was Lüge ist, Klischees sind, eine hinterfotzige Sache. Das darf in einer guten Entertainmentshow nicht sein. Dadurch unterscheiden sich diese Shows etwa von einer Mozart-Oper, die durchaus mit der Realität der damaligen Zeit zu tun hatte. Unterhaltung muß auf einer höheren Ebene den Alltag behandeln.

Wie sieht diese höhere Ebene aus? Was ist damit gemeint?

Es wäre natürlich öde, wenn die gleiche Ödnis, die den Alltag bestimmt, jetzt auch noch auf der Bühne erscheinen würde. Das sollte schon Raffinement haben, muß verarbeitet sein — komprimiert sein. Es muß sowohl den absurden Witz haben, den unser Alltag oft hat, als auch die beklemmenden und tragischen Momente, mit denen sich jeder auseinandersetzen muß. Gaudi muß drinsein, wo du dich mit einem Witz über eine Katastrophe hinwegsetzt. Es muß auch möglich sein, daß du einen katastrophalen Mißstand oder katastrophales Unrecht einfach so aussprichst, wie es ist. Wenn das so wäre, dann hätte ich als Zuschauer das Gefühl, das ich nicht verschaukelt werde. Bei einer Otto-Show oder bei einer Mike-Krüger-Show wird man doch verarscht, weil das Leben nicht nur oberflächliches Geblödel ist, nicht nur Gaudi und Tralala. Und man kann ja auch nicht zwei Stunden lang nur Geblödel aushalten. So lange kann kein Mensch lachen. Es sei denn, man hat einen gigantischen Komiker vor sich. Aber selbst Charlie Chaplin ist nicht in einem Film zwei Stunden lang komisch, sondern nur an ein paar wenigen Stellen. Die Gaudi empfindet man nur dann als wirklich schön, wenn sie sich abhebt von der Un-Gaudi. Das muß man alles berücksichtigen.

...heißt das also: Du empfindest dich nicht als (exzentrischen) Kabarettisten, als der du oft beschrieben wirst?

Der normale Kabarettist hat seine Stärken als Ausdrucksform. Aber es hat den Nachteil, daß es eine zähe Redeform ist und in der Regel abgestandene Musik benutzt. Es kann etwas Siebengescheites haben, belehrend wirken. Und vor allem: Alles geht über den Kopf. Man muß aufpassen, daß man den Witz kapiert, was für den Zuschauer eine Anstrengung ist. Du mußt mitdenken — Musik wirkt bei den Menschen anders, unter Umgehung des Gehirns — als reiner Gefühlswert. Wenn ein Text gesungen wird, kriegt man den infiltriert per Nürnberger Trichter, ohne daß man es merkt. Es gefällt mir nicht, einen Kerl auf der Bühne da oben zwei Stunden an der gleichen Stelle stehen zu sehen. Das ist mir zu langweilig. Deswegen ist auch ein Grönemeyer- Konzert so langweilig. Oder Bruce Springstean — zwei Stunden lang in der Heldenpose. Das ist eine Zumutung! Um das ertragen zu können, muß man eine echter Fan sein: jung, achtzehn Jahre, mit Tränen in den Augen, wenn der Bono auf die Bühne kommt — jemand, der die entscheidenden Watschen des Lebens noch nicht serviert bekommen hat. Dann kannst du noch reingehen und dein Feuerzeug hochhalten.

Welche Rolle spielt der Faktor „Bayern“ in deinem Konzept? Kollegen von dir, wie Gerhard Polt oder die Biermösl Blosn, gewinnen ja die Identität ihrer Kunst aus der Tatsache, daß sie aus Bayern sind, aber gleichzeitig gegen Bayern rebellieren. Wie ist das bei dir?

Die Biermösl Blosn verstehen sich unter anderem als Opposition gegen das CSU-regierte Staatsbayern. Das ist bei mir anders: In dem, was ich mache und wie ich mich äußere oder eine Geschichte erzähle oder Texte schreibe, merkt man natürlich, daß ich aus Bayern komme. Genau wie der Ry Cooder nicht verleugnen kann, daß er aus dem Süden der USA kommt; das merkt man dem Burschen an. Bayern ist nicht das Thema, mit dem ich mich künstlerisch auseinandersetze. Das ist ein Thema, mit dem setze ich mich privat auseinander, indem ich Zeitung lese. Aber das ist doch kein interessantes Thema für die Bühne. Das war es vielleicht einmal, aber diese Zeit ist längst vorbei.

Deine Inhalte sind mehr an der Normalität des Lebens interessiert. Situationen, wie sie einem täglich begegnen, die aber so stark überdreht werden, daß der Wahnsinn durchzuschimmern beginnt.

Die Kunst besteht darin — wie bei einem guten Maler, der ein Porträt mit ein paar Strichen macht: daß man sofort weiß: Hoppla, um das geht's! Das kann der Polt. Mit ein paar ganz einfachen Sachen kreiert der eine Welt, die beklemmend ist, aber auch witzig. Im Vergleich dazu kann man sich dann die ganze deutsche Solo- Kabarettisten-Quatscher-Szene in den Arsch schieben.

Zwischen Polt und dir gibt es bestimmte Analogien. Ist es eine spezielle Sicht der Dinge?

Wir sind beide am Alltag interessiert, aber nicht nur. Die Themen, die wir behandeln, sind keine anderen Themen wie die von Randy Newman oder Lou Reed auch. Was nicht gleich ist, ist die Art und Weise, wie man ein Thema bearbeitet. Bei mir ist das dadurch bestimmt, daß ich aus Bayern komme. Das ergibt ein spezielles Kolorit des Ausdrucks, das sich unterscheidet von einem Menschen aus Hannover oder Lüdenscheid, die auch Kolorit haben, aber das ist halt einfach sehr pastellfarben.

Ist der Dialekt nur Kolorit? Wenn es stimmt, daß Sprache dem Denken Bahnen vorgibt, müßte es eigentlich mehr sein? Denkt man im Dialekt?

Es geht nicht nur darum, daß der Klang anders ist, sondern der Dialekt beeinflußt die Art und Weise, wie man ein Thema verarbeitet und anschließend bearbeitet. Da gehen natürlich regionale Unterschiede ein. Aber es gibt auch im Norden Leute, die einen originellen Zugriff haben. Die Sozialisation in einer bestimmten Region formt dich: Was du schätzt, was dir auffällt, und wie du etwas beurteilst. Helge Schneider, der ja wirklich ein gigantiscer Typ ist, der hat einfach eine bestimmte Art von Humor. Schon allein die Themen, die er herausgreift und verarbeitet, sind anders als bei mir und Polt. Deswegen unterscheidet sich auch Boy George von Lou Reed. Wer sich nimmer unterscheidet, das ist eine Null-acht-fünfzehn-amerikanische Synthi-Popband von einer Null- acht-fünfzehn-deutschen und Null- acht-fünfzehn-englischen und -italienischen und -japanischen Synthi- Popband. Die unterscheiden sich nicht mehr, weil sie alle das Gleiche wollen: Die Nummer eins sein, überall auf der ganzen Welt und das gleichzeitig.

Hat es da irgendeine Bedeutung, daß du vom Land kommst? Prägt das deinen Blick?

Das ist nicht so wichtig. Die Frage ist doch die, ob du in einer gesellschaftlich, menschlich funktionierenden Umgebung aufgewachsen bist oder nicht. Es gibt Großstadtviertel, wo die Leute sich kennen, und wo ein soziales Leben herrscht. Da kann man beim Bäcker noch seine Semmeln anschreiben lassen. Aber es gibt genauso Landgegenden, die einfach so etwas von geschissen anonym sind, irgendwelche Siemensdörfer, reine Schlafstädte. Zwischen dem intakten Dorf (was immer das heißen mag) und dem „Großstadtbiotop“ gibt es keinen so großen Unterschied. Man kennt sich gegenseitig, und man haßt sich, und man terrorisiert sich gegenseitig, und die Nachbarn führen Prozesse miteinander, aber die kennen sich wenigstens noch.

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Ist die Umgebung wirklich so wichtig für die Individualität und Kreativität von Menschen; ist es so entscheidend, wo jemand aufwächst?

Es ist doch eine Illusion zu glauben, daß, wenn man in irgendeinem dieser Neue-Heimat-Bunker aufwächst — in dieser Hasenstallarchitektur —, daß daraus Individuen hervorgehen. Da gibt es einen Abenteuerspielplatz, und alle wachsen gleich auf: konsumieren die gleichen Kassetten, die gleichen Fernsehsendungen, die gleichen Videofilme. Sie gehen in eine Schule mit einheitlichen Lehrplänen, machen die gleichen Freizeitsportarten, haben die gleichen Klamotten an, und wachsen vollkommen uniformiert auf, weil sie sich sonst gar nicht wohlfühlen. Die Eltern machen auch das gleiche, alle miteinander. Sie haben nur die Illusion von Individualität. Und dann wird doch keiner so wahnsinnig sein und glauben, daß daraus noch irgendwann einmal eine speziell gefärbte Existenz entstehen könnte. Und gleichzeitig wachsen alle in einem allgemeinen Mus von Toleranz, Rücksichtnahme und Verständnis auf. Also wenn nicht einer das Glück hat, daß er irgendwelche bösen Katastrophen miterlebt, die ihn rauskicken aus dem normalen Ablauf, dann hat er überhaupt keine Chance, jemals auch nur den Hauch einer interessanten Identität zu entwickeln. Das war früher anders, egal, ob in der Stadt oder auf dem Land. Da hat es noch bestimmte Unterschiede und Eigenheiten gegeben. Heute ist man so gleichgeschaltet, wie es keine Kultur jemals vorher geschafft hat. Woher soll man heute eigentlich etwas Eigenes entwickeln, wenn einem von vornherein schon deutlich signalisiert wird, daß bestimmte Eigenheiten einfach hoffnungslos sind. Daß es unmöglich ist, bayrisch zu reden oder schwäbisch oder sonst einen harten Dialekt. Das empfinden die als unschick. Dann brauchen sie sich auch nicht wundern, daß die überhaupt nichts entwickeln. Und als Strafe dafür müssen die dann Eintritt bezahlen beim Lou-Reed-Fund beim Ringswandl und beim Polt und beim Bono. Was früher gar nicht notwendig war. Wenn man sich nur anschaut, die ganzen Waldorfschulen — dieses Krückenwerk. Das ist doch nur ein verzweifelter Versuch, irgend etwas zu retten — vollkommener Schwachsinn! Wenn man sich anschaut, wo der Achternbusch herkommt oder der Bukowski. Die produzieren doch Sachen, die nennenswert sind, was zwei Millionen Steiner-Schüler nicht in zweihundert Jahren zusammenbringen werden, weil sie mit warmer Milch gebadet worden sind — zwanzig Jahre lang. Und das produzieren sie dann anschließend auch. Die können vielleicht interessant töpfern. Aber das war's dann auch schon.

Im Gegensatz zu deiner Sprache scheinst du zur Musik ein anderes Verhältnis zu haben. Du arbeitest mit verschiedenen Versatzstücken aus dem Bereich des Pop. Welche Funktion hat die Musik in deinem Konzept, ist deine Beziehung zur Musik weniger existentiell als zu deiner Sprache?

Die Musik ist mir persönlich sehr wichtig. Die meiste Zeit unserer Übungsarbeit geht in die Musik. Es fällt mir aber schwer, über die Musik zu sprechen. Das ist wie mit dem Geschmack einer Birne. Wie will man den erklären? Natürlich haben wir ein anderes Verhältnis zur Musik als fünfhundert Schwarzjacken in schwarzen Jeans mit schwarzen Haaren und schwarzen Hemden, die sich eine Chicagoer Verzerrte-Gitarren- Rockband anhören und sich dabei einen runterholen. Ich bin einfach nicht mehr zwanzig, daß ich weinen könnte, wenn ein bestimmter Musikstil erklingt — und den höre ich mir dann fünf Jahre lang an. Dafür bin ich zu alt. Ein einigermaßen offenes Gehirn kann doch angesichts all der interessanten Musik, die es gibt, nicht mehr ernsten Sinnes ein Westernhagen-Platte anhören. Das ist einfach gar nicht möglich. Wenn man einmal Spike Jones gehört hat oder Zappa oder Prince, dann hat man genug von Platten, auf denen es von vorne bis hinten nur schrubb-schrubb macht.

Das ist eine Frage, wie ernst du dich selbst nimmst. Wenn du dich selber ernst nimmst, wie der Maffay sich ernst nehmen muß, oder wie der Westernhagen, dann mußt du eine Platte mit einem bestimmten Stil machen. Das ist dann aber keine Platte für erwachsene Leute. Das ist etwas für Kinder. Für dieses Alter ist das okay, aber mit 35 oder 40 oder noch älter? Der Phillip Boa, der darf das machen. Das ist ein kleiner Kerl, der ist 25 Jahre alt, der darf den wilden Mann spielen für sein Publikum. Aber wenn er ein paar Jahre älter ist, dann nicht mehr, sonst lügt er, oder er ist blöd. Oder noch schlimmer: Ochsenknecht, als absolute Vernichtung von allem. Er ist ein Beispiel dafür, mit was für einem irrsinnigen Aufwand und mit was für einer Verzweifelung die Industrie versucht, irgendeine Null zu schießen. Das darf doch nicht wahr sein, daß man so was produziert, so eine Nullkacke. Und der behauptet von sich, er sei ein richtiger Rockmusiker, dabei spielt er ihn bloß. Er ist eben ein Schauspieler. Und dann stellt der sich ins Fernsehen rein und erzählt, daß er ein ganz origineller Typ sei, der seinen eigenen Weg geht. Das ist doch ein Scherz. Trotzdem finde ich es gut, daß so etwas passiert, weil anders kann der Beweis nicht geführt werden, daß so etwas gar nicht geht. Das ist wie mit dem Sozialismus: Da braucht man nicht mehr zu diskutieren. Es ist gezeigt worden, daß das nicht geht und damit Ende.

Viele deiner Kollegen engagieren sich politisch auch außerhalb des Musikbereichs. Sollten Künstler politisch Stellung beziehen?

Was soll ein Kabarettist über Politik sagen? Gar nichts, weil er nicht den Schimmer einer Ahnung hat. Er kann über Werte reden, über Wertvorstellungen, seine persönliche kleine Mikrosicht auf die Dinge zum Besten geben, aber über Politik? Und bei den Rockmusikern ist es ja ganz besonders schlimm. Daß da einer seinen Namen flüssig schreiben kann, ist ja schon die Ausnahme. Einige meiner Songs haben zwar eine politische Dimension, indem sie sich mit Aspekten des Gemeinlebens auseinandersetzen. Aber das ist nur ein Schlaglicht auf die Gesellschaft. Meine ganz persönliche Sicht auf ein spezielles Problem.

Ich versuche halt, keine eindimensionalen Texte zu schreiben. Ich mag keine Texte, die wie eine Planierraupe durch den Wald fahren. Da gibts dann eine Schneise und das wars dann gewesen. Und wenn du drunter schaust, ist nichts mehr da.

Politik ist heute ja sehr komplex. Früher war sie das weniger. Wenn früher in Württemberg Streß war, dann hat das die Bayern noch lange nicht gejuckt. Unsere gegenwärtigen Probleme sind ja — im Vergleich zu den Problemen anderswo — harmlose Scherzereien. Wir können es uns leisten, in unserer Stadtteilgruppe mit ein paar grünen Tanten zu lachen und uns darüber zu unterhalten, ob über den Kindersandkasten ein Drahtgitter drüber muß, damit die Katzen nicht reinscheißen. Darüber können wir uns lange unterhalten. Wir sind ein zuverlässiges Volk. Wir machen keinen Streß.