Expo: Leere mit feuchtem Drumherum

Auf dem Gelände der Weltausstellung in Sevilla ist Schlangestehen erste Bürgerpflicht/ Anspruchsloses Pappmaché-Spektakel in den meisten Pavillons/ Die Hitze treibt die Besucher in die Grünanlagen  ■ Aus Sevilla Antje Bauer

„Hier hat jeder Pavillon seine eigene Schlange.“ Dieser Hinweis der rotuniformierten Stewardeß darf bisher als Motto der Weltausstellung in Sevilla gelten. Zwar ist der Massenansturm seit Dienstag, dem ersten für das Publikum freigegebenen Tag, ausgeblieben, doch die Scharen Besucher reichten aus, um die Kapazitäten auszuschöpfen. Nicht nur auf den Einlaß in die meisten Pavillons mußte gewartet werden. Jeder Zugang zu Nahrung, Geld oder Telefonkabine wollte geduldig erstanden sein, zumal ein Großteil der aufgestellten Automaten durch Plastikhüllen vor dem Zugriff der Konsumenten geschützt war und allenfalls vereinzelt ein Schildchen die baldige Inbetriebnahme versprach. Die Weltausstellung wurde fristgerecht eröffnet. Doch in den hinteren Alleen lagert noch immer Baumaterial, das auf Weiterverarbeitung wartet; einsame Kabel ziehen sich über Bürgersteige, an vielen Stellen wird noch geschippt und gepflanzt, was das Zeug hält. Toiletten, die am Sonntag noch nach Plastik gerochen hatten, setzten wenige Tage später bereits unaufgefordert Wasserlachen frei — der Prozeß von der Einweihung bis zur Abnutzung läuft in dieser künstlichen Stadt im Zeitraffer ab.

Wird das Schlangestehen an den zahlreichen Kiosken immerhin durch den Empfang eines Stückes Pizza oder eines Hotdogs belohnt, so erweist sich der Erfolg des Geduldsakts vor den Pavillons als weit fraglicher. Hinter den imposanten Fassaden vieler Pavillons verbergen sich große Räume, um nicht zu sagen gähnende Leere, die durch Reproduktionen von Altertümern oder Diaprojektionen, die die Schönheiten des jeweiligen Landes preisen, mehr unterstrichen denn verdeckt wird.

Der Beginn des 21. Jahrhunderts in Italien besteht aus ein paar immerhin echten alten Gemälden; in Saudiarabien aus einer pappmachéartigen Höhle mit Beduinenzelt; in Neuseeland aus einer Truppe grunzend tanzender Wilder, von den Besuchern aus respektvollem Abstand bewundert — arme Welt. Die themenzentrierten Pavillons passen sich diesem anspruchslosen Pappmaché-Talmi- Spektakel an. Die Besucher des Kosmos-Pavillons werden in einen Saal vorgelassen, in dem ein Videofilm die Entstehung der Welt in wenigen Minuten darstellt, in einem rabenschwarzen Nebenraum ein einsames Atom vor sich hin hüpft und Materie sich auf Metallschirmen knatternd verflüchtigt, wie ein Beitext in einem halben Satz erläutert. Die Besucher werden ihrer Ahnungslosigkeit überlassen und schleppen entsprechend lustlos die schmerzenden Füße von Ereignis zu Ereignis. Im „Pavillon der Energie“ wird das „Verhältnis zwischen Energie und Lebensstandard“ (Broschüre) durch einige ausgestellte Autos und Motorräder sowie Glasbehälter voller Kohlestücke dargestellt. Ein Roboter schraubt an einem Citroän ein Schutzblech an und ab. Wenn man an einigen Apparaten eine Kurbel dreht, bewegt sich zehn Meter höher ein Fahrrad. Kein Wort über den ökologischen Preis der Energieverschwendung, kein Wort über den Raubbau an Rohstoffen, nichts über die Fragwürdigkeit einer durch und durch maschinisierten Welt.

Nicht alle Pavillons sind so blaß in ihren Aussagen. Polen glänzt durch selbstironische Darstellungen und moderne Kunst. Der russische (einstmals sowjetische) Pavillon, von außen eine riesige rote Tribüne, entfaltet sich innen als eine Landschaft aus Stufen, in der sich technische Errungenschaften halb surrealistisch in Glaskästen darbieten.

Der imposante Holzbau der Japaner ist eine der Hauptattraktionen der Expo. Eine Stunde Wartezeit kündigt ein Schildchen auf spanisch und japanisch an, dahinterstehende Menschenmengen bestätigen die Ankündigung auf einen Blick. Die japanische Selbstdarstellung fällt höflich und rigide aus. Die Hauptattraktion, das Drehtheater, erweist sich als Kino auf rotierender Plattform. Die Besucher müssen auf unbequemen Plastiksesseln Platz nehmen, werden angewiesen, diese auf keinen Fall zu verlassen und müssen sich mit einem propagandistischen Zeichentrickfilm berieseln lassen. Alle paar Minuten dreht sich die Plattform unerbittlich zu einer neuen Filmleinwand, kein Entkommen möglich.

So militärisch der japanische, so angenehm wenig protzig kommt der deutsche Pavillon daher. Ein großes, durchsichtiges Gebäude, das obligatorische Stückchen Mauer, Fahrräder mit Flügeln und Diaprojektionen, die den Traum vom Fliegen thematisieren. Draußen verzehren auf den Stufen eines Amphitheaters die Besucher Leberkäs mit Kartoffelsalat aus dem deutschen Restaurant, während sich hinter ihnen ein blechernes Karussell aus Märchengestalten verschiedener Länder dreht.

Jenseits der Leere der Pavillons, bei frühsommerlichen Temperaturen um 30 Grad, kommt den überstrapazierten Füßen das Drumherum der Expo gelegen: Je höher die Sonne steigt, desto mehr Besucher flüchten in begrünte Wandelgänge, in denen Tausende Düsen einen feinen Nebel versprühen, an Wasserspiele und Springbrunnen. Neben künstlichen Stromschnellen hält ein ältere beleibte Portugiesin ein Nickerchen. Andalusische Familien hängen die Füße ins Wasser und packen die mitgebrachte Tortilla aus. Die künstliche Stadt beginnt sich zu beleben. Wenn der andalusische Sommer mit 40 Grad im Schatten einsetzt, werden diese Feuchtregionen, die die Außentemperatur um vier Grad senken sollen, wie eine Vision aus 1001 Nacht erscheinen. Es sind keine Oasen, keine heimeligen Orte, diese High-Tech-Grünflächen, sondern urbane Räume, deren Nutzung eindeutig festgelegt ist. Sie haben mehr von der kastilischen Austerität als von der andalusischen Verspieltheit. Doch die Strenge verliert sich, wenn abends Tausende Sevillaner aufs Expo-Gelände strömen, um Feuerwerke über dem See und Musikkonzerte zu erleben — für 15 Mark nur, soviel kostet der Eintritt nachts. Wenn die geschlossenen Pavillons nur noch mysteriös glänzen und die Barqueta-Brücke über den Guadalquivir weiß angestrahlt wird, dann gibt die Expo ihre uneingelösten Ansprüche auf und wird das, was sie ist: eine glitzernde Kunstwelt am Rande Europas.