INTERVIEW
: „Es bedarf sofortiger, spürbarer Sanktionen“

■ Der stellvertretende außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Günther Verheugen, zur Lage in Bosnien

taz: Sie haben die „frühzeitige Anerkennungspolitik“ der Bundesregierung gegenüber einzelnen jugoslawischen Republiken kritisiert. Die jetzt eingetretenen Entwicklungen seien dadurch „mitbegünstigt und mitzuverantworten“. Die SPD hat diese Politik doch spätestens seit August 1991 unterstützt und damit Genscher innenpolitisch wesentlich unterstützt.

Verheugen: Meine Kritik gilt den Entscheidungen des vergangenen Jahres und ich beziehe Entscheidungen meiner eigenen Partei und Fraktion mit ein. Ich habe es damals für falsch gehalten und halte es nach dem Verlauf der Dinge immer noch für falsch, daß man — ohne eine politische Lösung für das neue Jugoslawien zu haben — mit der Anerkennung einzelner Republiken Fakten geschaffen hat. Aus diesen Fakten ergeben sich die neuen Konflikte. Es hätte damals stärkerer Druck ausgeübt werden müssen auf das noch bestehende Jugoslawien, eine gemeinsame, einvernehmliche Regelung des Zusammenlebens zu finden. Und erst nach einer solchen innerjugoslawischen Einigung wäre die Frage der Anerkennung einzelner Republiken zu prüfen gewesen.

Diese Erkenntnis ist ja nicht neu. Eine entsprechende Position wurde ja zumindest bis zum Beginn des Bürgerkrieges Anfang Juli 91 auch von Genscher und von Ihrer Partei vertreten. Was war der Grund für den Schwenk der SPD?

Bei der Mehrheit der SPD-Bundestagsfraktion, die die Anerkennung Sloweniens und Kraotiens damals für richtig gehalten hat, wurde das Recht auf Selbstbestimmung als Recht zur Gründung eines eigenen Staates interpretiert. Diese Auffassung teile ich nicht. Einfluß auf die Haltung der SPD in der Jugoslawienfrage hatte auch der Prozeß der Aufarbeitung der eigenen ostpolitischen Vergangenheit, in dem sich die Partei bis heute befindet.

Was sollen Bundesregierung und EG angesichts der aktuellen Situation in Bosnien-Herzegowina tun?

Drohungen mit dem Abbruch diplomatischer Beziehungen zu Serbien oder mit der Suspendierung der KSZE-Mitgliedschaft werden kaum wirken. Jetzt bedarf es sofortiger, spürbarer Sanktionen, vor allem solcher zur Einschränkung der Kriegsführungsfähigkeit der Bundesarmee, wie z.B. erin Erdölembargo. Darüber hinaus ist ein umfassendes Handelsboykott zu erwägen. Angesichts der täglichen Eskalation des Krieges ist es unklug, daß Bonn und die EG bei den ursprünglich gesetzten Fristen bleiben und erst nächstes Wochenende über Schritte beraten wollen.

Was sagen Sie zum erneuten Ruf nach dem UNO-Sicherheitsrat, obwohl 90 Prozent der von ihm vor zwei Monaten beschlossenen 16.000 Blauhelme für Kroatien wegen Geldmangels immer noch nicht stationiert werden konnten?

Die schönen Vorstellungen von der neuen Weltordnung und den gesteigerten Handlungsmöglichkeiten der UNO erweisen sich als Illusion, weil die politisch, wirtschaftlich und militärisch starken Staaten wie die USA, die Bundesrepublik oder Japan zwar bereit sind, für Rüstung zu bezahlen, aber nicht für den Frieden. Interview: Andreas Zumach