Afghanistan: Einigung in letzter Minute?

Kabul/Islamabad (dpa/ap/taz) — Die Lage in Kabul ist äußerst gespannt. Für die eineinhalb Millionen Einwohner der afghanischen Hauptstadt gibt es immer noch keine Gewißheit, ob sich verfeindete Mudschaheddingruppen ab Sonntag eine Schlacht um Kabul liefern werden. Der Paschtunenführer und islamische Fundamentalist Gulbuddin Hekmatyar hat bis dann die Übergabe der Stadt an einen „Mudschaheddin-Rat“ verlangt.

Was wird Hekmatyar tun? Dies bleibt weiterhin die Schlüsselfrage. Nachdem es noch gestern hieß, er werde an seiner Drohung festhalten, Kabul andernfalls am Sonntag anzugreifen, schien wenig später doch noch ein Kompromiß erreicht worden zu sein. „Aus Rebellenkreisen“ in der pakistanischen Grenzstadt Peshawar war zu hören, die Mudschaheddinführer hätten sich auf die Bildung eines Interimsrates zur Übernahme der Regierungsgeschäfte geeinigt, an dem sich die radikale Hesb-i-Islami unter Hekmatyar offenbar beteiligen will.

Diese Einigung sei möglich geworden, nachdem der „gemäßigte“ Chef der Dschamiat-i-Islami, Achmed Schah Masud, zwei Stunden lang über Funktelefon mit Hekmatyar verhandelt habe. Dabei sei man übereingekommen, die Differenzen zu begraben, hieß es aus Dschamiat- Kreisen. Der neue Interimsrat soll danach aus 50 Mitgliedern bestehen — je fünf Vertreter der zehn bedeutendsten Mudschaheddin-Gruppen, die zur Zeit noch in Pakistan und Iran operieren. Das Amt des Vorsitzenden soll nach dem Rotationsprinzip ständig wechseln. Diese Lösung könnte Hekmatyar eine Beteiligung ohne Gesichtsverlust ermöglichen, meinen Beobachter.

In dem verzweifelten Bemühen um eine friedliche Regelung hat gestern auch UNO-Generalsekretär Butros Ghali in Neu-Delhi erklärt, er werde sich persönlich in die Verhandlungen einschalten.

Immer mehr Mudschaheddin der Gruppierung des Tadschiken Masud und der mit ihm verbündeten Usbeken- und Schiitengruppen sickern in die afghanische Hauptstadt ein, um sich dort mit Teilen der Regierungsarmee zu vereinigen. Auch Hekmatyar, so berichteten Augenzeugen aus Kabul, verfüge inzwischen über Kräfte in der Stadt selbst.

Dschalalabad mit seinen rund 60.000 Einwohnern wird nach Angaben der Nachrichtenagentur 'Afghanische Islamische Presse‘ von einem Mudschaheddinrat (Schura) regiert. Nach Angaben der Agentur herrsche in der Stadt, die etwa 65 Kilometer von der pakistanischen Grenze entfernt ist, „Jubelstimmung“. Die pakistanischen Behörden haben angeblich die Straße nach Dschalalabad in Absprache mit den Mudschaheddin geschlossen, um einen Ansturm rückkehrwilliger Afghanistan-Flüchtlinge zu verhindern. li