Gewerkschafter beschließen Streik

■ Erster Streik seit 18 Jahren im öffentlichen Dienst/ 95,4 Prozent der Postler und 89,3 Prozent der DAG-Mitglieder für Arbeitskampf/ Arbeitsniederlegung in Hamburger Hauptpostamt

Bonn/Berlin (taz/dpa/ap) — Die Post bleibt liegen, der Müll stehen und Busse und Bahnen fahren bald nicht mehr — im öffentlichen Dienst Westdeutschlands rollt die erste Streikwelle seit 18 Jahren an. Bei der Deutschen Bundespost traten die ersten Beschäftigten bereits gestern nachmittag in einen unbefristeten Ausstand. Unmittelbar nach der Veröffentlichung des Urabstimmungsergebnisses, bei dem 95,4 Prozent der Postler für einen Arbeitskampf zur Durchsetzung höherer Einkommen votiert hatten, rief die zentrale Streikleitung der Postgewerkschaft (DPG) die 1.600 Beschäftigten im Hamburger Hauptpostamt zur Arbeitsniederlegung auf. Die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG) legte ebenfalls ihr Abstimmungsergebnis vor: 89,3 Prozent der 140.000 DAG-Mitglieder sprachen sich für Kampfmaßnahmen aus. Bei der Polizeigewerkschaft GdP stimmten über 90 Prozent der 23.500 gewerkschaftlich organisierten Arbeiter und Angestellten im Polizeidienst für einen Streik.

Als letzte der Gewerkschaften wollen die ÖTV und die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED) morgen vormittag ihr Ergebnis der Urabstimmung mitteilen. Im öffentlichen Dienst waren von den etwa 2,3 Millionen Beschäftigten rund 900.000 Gewerkschaftsmitglieder an die Urnen gerufen. Die letzten Wahllokale schlossen gestern gegen 14 Uhr.

Die Gewerkschaften, die ursprünglich 9,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt forderten, waren zur Urabstimmung geschritten, nachdem die öffentlichen Arbeitgeber den Schlichterspruch von 5,4 Prozent abgelehnt hatten. Das letzte Angebot der Verhandlungsführer von Bund, Ländern und Gemeinden liegt bei insgesamt 4,8 Prozent. Mit massiven Streiks im gesamten öffentlichen Dienst wird spätestens ab Montag gerechnet.

Mit dem Streikbeginn bei der gelben Post dürften allein am Freitag vier Millionen Postsendungen liegen geblieben sein. Die Arbeitsniederlegungen sollen laut dem DPG-Vorsitzenden Kurt van Haaren in den kommenden Tagen flächendeckend ausgeweitet werden. Dann wird auch der Postbankbereich und die Telekom in den Streik mit einbezogen. Das hohe Votum für den Arbeitskampf sei „die Quittung“ der Postbeschäftigten für das versuchte Lohndiktat der öffentlichen Arbeitgeber, so der Gewerkschaftschef. „Wir streiken nicht mehr für das Schlichtungsangebot“, erklärte Van Haaren, „jetzt wird es für die Postarbeitgeber teuer. Unsere Streikkasse ist so stark, daß wir einen Arbeitskampf längere Zeit durchhalten können.“ Der Postdienst wird nach Ankündigung einer Sprecherin in allen bestreikten Bereichen Beamte einsetzen.

Die Verhandlungsspitzen der öffentlichen Arbeitgeber versuchten derweil weiter den Eindruck zu vermitteln, als hätten sie nichts unterlassen, um den Streik abzuwenden. Bundeskanzler Helmut Kohl hatte am Donnerstag abend die Lohnforderungen der Gewerkschaften als „völlig indiskutabel“ bezeichnet. Der Tarifabschluß sei von „elementarer Bedeutung“ für die Staatskasse, aber auch für die Konjunkturlage der deutschen Wirtschaft. Die Gewerkschaften wollen aber nicht das Sparschwein der Nation sein.

Doch auch im Arbeitgeberlager mehren sich die Stimmen, die Schlichterempfehlung von 5,4 Prozent anzunehmen — schließlich liegt die Differenz zwischen Schlichterspruch und dem Arbeitgeberangebot im Durchschnitt monatlich bei knapp 40 Mark. Nach dem Münchener Oberbürgermeister Georg Kronawitter (SPD) plädierte auch der Vorsitzende des Bayerischen Städtetages und Oberbürgermeister von Landshut, Josef Deimer (CSU), für eine Erhöhung des Arbeitgeberangebotes um die 0,6 Prozentpunkte. Der volkswirtschaftliche Schaden eines Streiks wäre wesentlich höher als diese Mehrbelastung, so sein Argument.

Neben den Postlern sind bereits gestern auch die Kölner Straßenwärter in den Streik getreten. In dem nicht zum DGB gehörende Verband Deutscher Straßenwärter, eine der kleinsten Gewerkschaften, hatten über 87 Prozent für den Streik gestimmt, so der Verbandsvorsitzende Josef Hilgers. „Wie ein Saustall“ werden bis spätestens Mitte nächster Woche die Parkplätze am Kölner Autobahnring aussehen. es