Sind Ostfrauen wirklich anders?

■ Der UFV hinterfragte Klischees/ 30 Frauen erzählten sich ihre Lebensgeschichten

Mitte. Am Sonnabend saßen Frauen aus Ost und West im »Haus der Demokratie« zusammen, um gemeinsam nachzudenken, ob das Klischee »hier Ostfrau, dort Westfrau« stimmt. Und wenn, dann wollten sie herauszufinden, wie die geschlechtsspezifische Erziehung in Ost- und Westdeutschland vor der Wende typische Ost- und typische Westfrauen erzeugte. Herausgekommen ist bei dieser Tagung des Unabhängigen Frauenverbandes aber nur eines. Noch ist ein mit Lust geführtes Streitgespräch unmöglich. Die Atmosphäre im Kreis der rund 30 Frauen war von einer sachten Behutsamkeit wie nach einem Krach zwischen guten FreundInnen. Geflaggt war die Flagge der Versöhnung, schon bevor sich überhaupt gestritten wurde. Biographien wurden sich gegenseitig erzählt, um das Besondere zu betonen, aber wenn Wunden zu spüren waren, wurde vorsichtig um sie herumgeleckt. Vor lauter Differenzierungen verschwand das Besondere der öst- und westlichen Erziehung von Mädchen. Eine Erziehung, die immerhin dazu führte, daß die Mehrheit der Ostfrauen heute noch behaupten, daß sie »gleichberechtigt« gewesen sind. Gleichberechtigt, weil sie von Müttern erzogen wurden, die ihr ganzes Leben lang Berufstätigkeit und Mutter sein verbinden konnten. »Bei uns wollen alle Frauen arbeiten, das ist doch ganz klar«, meinte Ramona Schmidt, einst Lehrerin in der DDR und nun in der Mädchenarbeit tätig. Eine Feststellung, die zwar gleich darauf aus dem Kreis widerrufen wurde, aber nach tausend Differenzierungen doch bestätigt wurde. Eine Nurhausfrau galt im realsozialistischen Staat nichts, zumindest war es »komisch, wenn eine Frau nicht arbeitete«. Es war aber weniger »komisch« — sondern vom Staat so gewollt. Die DDR-Oberen appellierten an den Stolz der Ehemänner und prophezeiten ihnen eine Ehe und eine Kindererziehung von »höherer Qualität«, wenn die Frau arbeite. Das Babyjahr war infolgedessen für die meisten jüngeren Frauen im Gesprächskreis eine unliebsame Ausgrenzung, bedeutete den Verlust der sozialen Kontakte, der festen Struktur.

Eine Erfahrung, die ganz und gar nicht osttypisch ist. Trotz der Bewegung »Lohn für Hausarbeit«, trotz der Frauen- und der Kinderladenbewegung hat sich die Unterbewertung der Kindererziehungsarbeit auch in die Köpfe der Westfrauen eingeschlichen. Stiegen sie dennoch aus der Erwerbsarbeit aus, so begründeten sie dies als emanzipatorischen Akt, als selbstgewählt, wo es im Grunde nur eine »Wahl« mangels besserer Alternativen war. Doch das sind Schlüsse, die von den Frauen im Gesprächskreis nicht gezogen wurden. Zu vorsichtig war die Atmosphäre, zu schnell war frau bereit, Fragen auszuweichen, die den Stolz auf »eigene Wege« schmälern könnten. Allein die Moderatorin Anne Hampele wagte es, eine deutsch- deutsche These in den Raum zu stellen: Die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruches in der DDR 1972 und die Einführung des Babyjahres auch für Männer ab 1984 seien womöglich Reaktionen auf Diskussionen und Gesetze in der BRD gewesen. Verwunderlich, daß sich an diesem provokantenPunkt keine Diskussion entzündete. Das Gespräch blieb geprägt von individuellen Ansichten. Fazit: Zwar ist es lohnend, Lebensgeschichten von Ost- und Westfrauen zu vergleichen. Aber wenn Erklärungsversuche ebenfalls immer wieder betont auf das Individuelle zurückgeschraubt werden, wird ein gemeinsamer Diskurs belanglos. Petra Brändle