PREDIGTKRITIK
: In Weiß heiraten

■ Konfirmationsgottesdienst in der Jesuskirche

Viele Regenschirme trocknen im Vorraum der Kreuzberger Jesuskirche. Als habe der liebe Gott die sechs jungen Leute, die heute konfirmiert werden sollen, in der Nacht vor ihrem Ehrentag noch einmal eindringlich an ihre Taufe erinnern wollen, ließ er es bis ins Glockengeläut hinein regnen, regnen, regnen. Nun sitzen sie mit nassen Schuhen in der ersten Bankreihe und hören andächtig dem Pfarrer bei seiner Predigt zu.

Mit der Konfirmation vollenden die sechs aufgeregten Jungen und Mädchen heute ihre Taufe. An diesem Tag, an dem man sie für erwachsen erachtet, geben sie so nachträglich die Zustimmung zu einem Vertrag, den ihre Eltern und Paten für sie mit dem lieben Gott geschlossen hatten. »Die Konfirmation ist das bewußte Ja zur Kindtaufe«, predigt der Pfarrer und erinnert daran, daß der Konfirmationsunterricht ursprünglich zu eigenen Meinungen und Gefühlen in Glaubensfragen führen sollte — nicht etwa zur goldenen Uhr.

Wie in allen Gemeinden in jedem Jahr, nutzt auch Pfarrer Müller die Gunst der Predigtstunde, um noch einmal alle Schwierigkeiten des gemeinsamen »Konfer«-Unterrichts zu kommentieren. Auf die Frage, warum Stefanie und Pia, Michael und Sebastian, Michaela und Evita nun eigentlich konfirmiert werden wollen, kamen ehrliche Anworten. Es gehöre eben dazu, die Eltern wollen es so, es gibt Geschenke und — wie weitsichtig — »nur so kann man später einmal in Weiß heiraten...«

Daß sie ihm so auffallend wenig Löcher in den talarbeschürzten Bauch gefragt haben, bedauert der junge Geistliche Müller, der selbst früher wohl zu den jungen kritischen Christen gehörte, die in den siebzigern Jahren die evangelischen Kirchentage mit ihrem gläubigen Politikverständnis bevölkerten. Die, die hier trotz ihrer klammen Schuhe aus vollen Kehlen Danke für diesen guten Morgen intonieren, gehören einer anderen Generation an. Allzu bereitwillig hätten sie gelegentlich aufgenommen, was die Bibel ihnen vorsetzt, allzu breitwillig singen sie jetzt »Danke für meine Arbeitsstelle, danke für jedes kleine Glück...« Heute nachmittag, wenn der ganze Zinnober vorbei ist, werden sie singen »Danke für all die vielen Geschenke, danke für jeden Hunderter«.

Vielleicht ist ja bei einigen von ihnen doch etwas hängengeblieben. Immerhin haben sie jetzt Anspruch auf die Trauung in Weiß und das Begräbnis in geweihter Erde. Später, wenn der Dank für die Arbeitsstelle einen pekuniären Hintergrund hat, ist dann da auch noch der Kirchensteuerabzug auf dem Lohnstreifen. Der liebe Gott ist mit diesem Deal offenbar zufrieden. Als die Kirche aus ist, läßt er die Sonne wieder scheinen. Klaudia Brunst