Vietnamese vor aller Augen erstochen

■ Der 21jährige Täter aus Marzahn, der sich als politisch rechts bezeichnet, wurde verhaftet/ Elfter Mord an einem Ausländer seit der Maueröffnung

Marzahn. Ein 29jähriger Vietnamese ist am Freitag abend vor einem Einkaufszentrum in Marzahn in Gegenwart zahlreicher Passanten erstochen worden. Ein 21jähriger Deutscher, der am Samstag von der Kripo festgenommen wurde, hat die Tat gestanden. Der Mann, der sich selber als politisch rechts, aber nicht als Skinhead einstuft, war bis Redaktionsschluß noch in Haft, der Vorwurf lautet auf Totschlag.

Am Freitag abend stand der 29jährige Vietnamese Nguyen Van Tu zusammen mit einigen Landsleuten vor dem Einkaufszentrum am Brodowiner Ring, um Zigaretten zu verkaufen. Der Maurer Mike L., der in Marzahn wohnt, hielt sich mit einigen anderen jungen Männern ebenfalls dort auf. Offenbar, so der Leiter der 7. Mordkommission, Thomas Scherhant, trinken die Männer dort regelmäßig Alkohol. Mike L. trat »grundlos«, so Scherhant, gegen die Warenkisten der Vietnamesen. Die Vietnamesen, die sich bedroht fühlten, protestierten. Mike L. zog ein Butterflymesser — ein Klappmesser mit mehreren Klingen — stach auf Nguyen Van Tu ein und traf ihn in den Oberkörper. Anschließend flüchtete er. Keiner der zahlreichen Besucher des Einkaufszentrums rührte während des Streits eine Hand für den Vietnamesen oder versuchte, den Täter aufzuhalten. Niemand rief einen Krankenwagen, als Nguyen Van Tu schon blutend am Boden lag. Die anderen Vietnamesen brachten den Schwerverletzten in eine Poliklinik. Die schickte ihn per Notarztwagen zum Krankenhaus Friedrichshain, wo er trotz einer Notoperation starb. Erst das Krankenhaus verständigte die Polizei.

Da einige Zeugen eine Personenbeschreibung abgeben konnten, fand die Kripo den Täter, nachdem sie die Umgebung des Einkaufszentrums und einen nahegelegenen Jugendclub durchsucht hatte. Die anderen Männer, die mit Mike L. vor dem Einkaufszentrum standen, waren nach dem bisherigen Vernehmungsstand nicht an der Tat beteiligt.

»Abscheu und Empörung« äußerte der CDU-Vertreter im Ausländerausschuß des Abgeordnetenhauses, Christian Zippel. Das Problem sei nicht mit mehr Polizeipräsenz zu lösen, das sei eine »klimatische Frage«. Im Ausländerausschuß werde zur Zeit diskutiert, den 3.000 bis 5.000 ehemaligen vietnamesischen Vertragsarbeitern in Berlin, die noch aus der DDR-Zeit hier seien, eine Art Aufenthaltsrecht zu verschaffen, damit diese die Möglichkeit zur legalen Arbeit hätten. Eine Aufenthaltserlaubnis für Vietnamesen befürwortet auch Eckhardt Barthel, der ausländerpolitische Sprecher der SPD. Dies berühre jedoch Bundesrecht. Barthel wies darauf hin, daß es häufig Angriffe gegen vietnamesische Zigarettenhändler gibt. Seit der Maueröffnung ist Nguyen Van Tu der elfte Ausländer, der von Deutschen ermordet wurde. Eva Schweitzer