„Trotz schwerer Bedenken“

Letzter Entscheid des Kabelrats: Staatlich finanzierter Sender RIAS2 wird privatisiert  ■ Von Ilona Marenbach

Peter Schiwy war schon auf dem Flug nach Amerika, als am Samstag vormittag aus dem 14. Stock des Berliner Europacenters die „Rauchzeichen“ aufstiegen: Der ehemalige RIAS-Intendant wird auch der zukünftige Chef von RIAS2 sein. Der Berliner Kabelrat beschloß fünf Tage vor Ablauf seiner Amtszeit, daß das aus Bundesmitteln finanzierte und reichweitenstarke RIAS-2-Programm als Privatsender weitergeführt werden kann. Die in der Öffentlichkeit höchst umstrittene Entscheidung wurde einstimmig getroffen, auch die beiden Vertreter von SPD und Alternativer Liste (AL) waren „trotz schwerer Bedenken“, wie Kabelrätin Sophie von Behr (SPD) erklärte, dafür. Doch die Anstalten ORB und SFB wollten nicht so recht.

Die Lizenz für Schiwys „Radio- Information Audio-Service Zwei GmbH i.G.“ wird allerdings einige Auflagen beinhalten. Um den Wettbewerbsvorteil, den das gut eingeführte Programm gegenüber anderen Privatsendern auf dem immer enger werdenden Berliner Werbemarkt (70 Millionen pro Jahr) hat, auszugleichen, darf „RIAS-2-neu“ in den ersten drei Monaten keine Werbung ausstrahlen. Bis Ende 1993 ist die stündliche Werbezeit auf maximal fünf Minuten beschränkt, wovon höchstens zwei aus regional akquirierter Werbung bestehen dürfen. Andere Sender können bis zu zwölf Minuten Werbung senden. Mit diesen Auflagen will man die aufgebrachte Berliner Privatfunkszene beruhigen, die schon im Vorfeld mit Klagen gedroht hat. Einen Tag vor der Kabelratssitzung wollte sowohl RTL als auch der Nachrichtenkanal Info-Radio die Entscheidung per einstweiliger Anordnungen gerichtlich untersagen lassen. Das Verwaltungsgericht wies die Klagen zurück. Ihren Zweck hat sie zumindest für Info-Radio trotzdem erreicht, denn wundersamerweise hat der Kabelrat dem Sender eine zehnprozentige Option an RIAS2-neu zugesprochen. Somit würde das RIAS-2-Konsortium, das neben Schiwy (44 Prozent) und dem Rechtsanwalt Peter Heers (21,5 Prozent) hauptsächlich aus leitenden Angestellten des Senders besteht, durch die Info-Gruppe (Radio Schleswig-Holstein, 'Tagesspiegel‘, 'Süddeutsche Zeitung‘ und 'Frankfurter Allgemeine‘) verstärkt. Die RIAS-Leute wären zwar lieber alleine geblieben, doch „eine Art Synergieeffekt“ kann sich Peter Heers von dieser „Zwangsehe“ durchaus vorstellen. Sollte sich Info- Radio tatsächlich für eine Beteiligung entscheiden, dann will Info- Geschäftsführer Dr.Christian Hädler ('Tagesspiegel‘) auf eine Klageerhebung verzichten. „Wir sind eben ganz schön trickreich“, kommentiert Info-Radio-Chefredakteurin Susanne Matthiessen den an den anderen Privatsendern vorbei plazierten Schachzug. Eine Kooperation der beiden Sender käme nicht zuletzt einer weiteren Auflage des Kabelrates zugute: Die neuen Betreiber sind verpflichtet, „den herausgehobenen journalistischen Standard von RIAS2“ zu halten.

Am 1.Juni kann laut Kabelratsbeschluß der Sendebetrieb aufgenommen werden. Vorübergehend hofft Heers aus den Räumen in der Kufsteiner Straße weiterfunken zu können, zu „marktüblichen Konditionen selbstverständlich“. Längerfristig hofft man, in Berlin-Mitte unterzukommen. Auf den eingeführten Namen RIAS2 muß wohl verzichtet werden. Hatte die Bundesregierung zwar keine Ablösesumme für den Sender verlangt, so will sie den Namen jedoch nicht hergeben.

Wenig begeistert von der Kabelratsentscheidung ist der medienpolitische Sprecher der SPD im Abgeordnetenhaus, Joachim Günter. Da fühle man sich „als Parlamentarier düpiert“, wenn ein Gremium fünf Tage vor Ablauf seiner Amtszeit eine solch weitreichende Entscheidung treffe. Das hätte dem neuen Medienrat überlassen werden sollen, der laut Staatsvertrag zwischen Berlin und Brandenburg von den beiden Länderparlamenten gewählt werden soll. Bis zur Konstituierung des neuen siebenköpfigen Gremiums bleibt der Kabelrat kommissarisch im Amt. Auch danach kann man den einen oder anderen vielleicht im neuen Medienrat Berlin-Brandenburg wiedersehen. Dem Vernehmen nach ist der jetzige Vorsitzende Prof. Ernst Benda (CDU) nicht abgeneigt, abermals den Vorsitz zu übernehmen. Übernommen wird zudem die komplette Anstalt für Kabelkommunikation, die dann den Namen „Medienanstalt Berlin-Brandenburg“ tragen wird.

Neben der RIAS-Entscheidung wurde unter anderem auch beschlossen, den MDR ins Berliner Kabel einzuspeisen sowie eine Konzeption für eine „Ausländerfrequenz“ zu entwerfen. Nachdem der SFB sein fremdsprachiges Programm auf die Mittelwelle abschob und Radio Energy die fremdsprachigen Redaktionen kurzerhand rausgeschmissen hat, gibt es in Berlin keine solche Sendung auf UKW mehr.