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■ Der Bericht eines britischen Fernsehjournalisten über seine Arbeit für die DDR

Unter den vielen Rettungs- und Rechtfertigungsversuchen unbußfertiger Realsozialisten, die das Programm des Ost- Berliner Dietz-Verlags nach der Wende bestimmen, fällt ein Buch aus dem vorgegebenen Rahmen von Kritik und Selbstkritik: der Arbeits- und Lebensbericht des britischen Fernsehjounalisten John Green. Der Autor war fast ein Vierteljahrhundert lang im Westen für den Fernsehfunk der DDR als Reporter im Einsatz, um für die „Aktuelle Kamera“, für die Gruppe Katins und für die Serie „Alltag im Westen“ Filmberichte zu liefern. Lange Jahre arbeitete er nicht direkt für seine Auftraggeber, sondern erhielt sein Honorar und seine Anweisungen von einer in Schweden ansässigen Tarnfirma namens „Nordreporter“, die die Weitergabe an den DDR-Fernsehfunk und an andere TV-Stationen im Ostblock besorgte. Dadurch war ihm jede Mitsprache über die Weiterverwendung verwehrt. Da er entweder in Englang lebte oder auf Reise war, hatte er so gut wie nie Gelegenheit, mit eigenen Augen zu sehen, was die Fernsehgewaltigen der DDR aus seinem Material machten.

Green sieht sich als Opfer und als Täter, als betrogener Betrüger. Er weiß, daß er mit seiner Auslandsberichterstattung zur Festigung und Verlängerung des Regimes beigetragen hat, und betrachtet sich zugleich als ein vom DDR-Propaganda-Imperium mißbrauchter Idealist.

So interessant wie sein Leben ist sein Bericht, jedenfalls auf weiten Strecken und überall dort, wo er vom ideologischen Schwarzweißraster seines „angeborenen und angezogenen kommunistischen Weltbildes“ abweicht.

Green, aus einer kommunistischen Familie stammend, entschloß sich bald nach dem Mauerbau, in der DDR an der Filmhochschule Babelsberg zu studieren, und erfuhr während der Tauwetterperiode bis 1965 von den antifaschistischen Altmeistern der DDR-Kultur manche Anregung, die ihn nachdrücklich in seinem Väterglauben an die gerechte Sache des Sozialismus bestärkte. Als er in seine Heimat zurückkehrt, findet er aufgrund seiner Ausbildung in der DDR nirgendwo in England einen Job. So ist er froh, als ihm der Deutsche Fernsehfunk der DDR ein Engagement anbietet. Er arbeitet zunächst als Korrespondent für Großbritannien, aber da er als britischer Staatsbürger im Gegensatz zu den DDR-Journalisten im Westen kaum Visumprobleme hat, übernimmt er schon bald, oft anonym, unter Pseudonym oder mit Wallraffscher List, Auslandsaufträge und bereist in den siebziger Jahren mit der Kamera nahezu alle Brennpunkte des Weltgeschehens: die damals noch faschistischen Staaten Griechenland, Portugal und Spanien, die afrikanischen Befreiungs- und Bürgerkriegsgebiete in Angola, Mozambique und Simbabwe, die Apartheidstaaten Südafrika und Namibia, Chile, El Salvador und Granada; und immer wieder die USA. Amerika, das ist für seine Auftraggeber zunächst das „Reich des Bösen“, und entsprechend lauten seine Regieanweisungen. Doch diese Blickweise ändert sich zwei Jahre vor dem Fall der Mauer von einem Tag zum andern, als Erich Honecker sich eine Chance ausrechnet, demnächst vom Weißen Haus zu einem Staatsbesuch eingeladen zu werden. Fortan wird Hofberichterstattung erwünscht.

Ähnliche Schwankungen waren auch für die Fernsehberichte aus der Bundesrepublik kennzeichnend. In der Regel hatten Green und seine Mitarbeiter Beiräge zu den „Dauerkampagnen Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit und Berufsverbote“ abzudrehen. Dabei waren Zensurbestimmungen einzuhalten, die forderten, daß in einer westlichen Arbeiterwohnung beispielsweise keine Farbfernseher und andere Luxusgegenstände zu sehen sein durften, um das ideologische Leitbild vom Elend des Proletariats im Kapitalismus nicht in Frage zu stellen. Wenn es die politische Lageeinschätzung erforderte, dann bestellten die Fernsehgewaltigen ohne Scheu und Scham auch über Nacht eine Gefälligkeitsaufnahme.

Das Buch von John Green, das leider lieblos gestaltet und mitunter holprig übersetzt wurde, enthält manch spannende Episode, und Green kann erzählen. Aber beeindruckender als die darstellenden sind die reflektierenden und selbstkritischen Passagen seines Berichts. Green fragt nach den Normen der Fernsehberichterstattung und erschrickt vor den schier unendlichen Möglichkeiten der Manipulation, die das Fernsehen seinen Machthabern bietet. Am Beispiel seiner eigenen Filmberichte weist Green immer wieder nach, wie rasch die Wahrheit gedreht und zur Irreführung der Zuschauer mißbraucht werden kann.

Fernsehkorrepondenten schreiben häufig Bücher, gleichsam als Abfallprodukte ihrer Auslandsberichte. Sie neigen allzu oft zu Selbstgefälligkeit, Selbstkritik liegt ihnen fern. Gegenüber solchen Selbstdarstellungen bleibt John Green angenehm bescheiden. Er ist von Zweifeln an seinem Metier geplagt und zeigt sich am Ende entschlossen, sein Handwerk an den Nagel zu hängen. Das ist ein ehrliches Wort, ehrlicher und glaubwürdiger als so manch anderer Abspann, der von ehemaligen Genossen aus der DDR zu Papier gebracht wurde. Peter Schütt

John Green: „Anonym unterwegs. Ein Fernsehjournalist berichtet“, aus dem Englischen von Hartmut Eisel. Dietz-Verlag Berlin 1991, 272 Seiten, 24DM