Endlich Abschied von Cossiga?

Der italienische Präsident hat für morgen seine Demission angekündigt/ In der politischen Krise setzen die Politiker auf einen starken Staatschef/ Der Mann fürs Gewöhnliche und die Pickelhacke  ■ Aus Rom Werner Raith

In einer mehr als vierzigminütigen Fernsehansprache, die er mit sichtbarem Tränenfluß und dem Ruf „Es lebe Italien, es lebe die Republik“ abschloß, hat Italiens Staatspräsident Francesco Cossiga am Samstag abend seine „Entscheidung, zurückzutreten“ angekündigt. Doch Vorsicht ist geboten: Formell will der Staatschef den eben gewählten Parlamentspräsidenten Giovanni Spadolini (Senat) und Oscar Luigi Scalfaro (Deputiertenkammer) seine Demission erst morgen überreichen. Dieses ungewöhnliche Verfahren hat Skeptiker bereits wieder in Zweifel gestürzt, ob der unverwüstliche Wendehals seine Ankündigung wahrmachen wird. „Wir haben darauf gewettet, daß der nicht zurücktritt“, schreibt 'Il Manifesto‘, „und vielleicht verloren. Aber wir zahlen erst, wenn er am Dienstag wirklich den Quirinalspalast geräumt hat.“

In der Tat hatte der Präsident seit eineinhalb Jahren das Volk ständig genervt mit wiederholten Rücktrittsdrohungen und darauffolgenden „Ich-bleibe-bis-zum-Ende“-Sprüchen (was manche allerdings als noch schlimmere Drohung empfanden). Noch unmittelbar nach den Parlamentsneuwahlen am 5. und 6. April hatte er gleich ein ganzes Bündel von möglichen Abtrittsterminen genannt: bereits vor der ersten Sitzung der beiden neuen Kammern, oder unmittelbar danach, oder nach Ernennung eines Ministerpräsidenten, oder eben doch am verfassungsmäßig bestimmten Termin, dem 2. Juli, nachdem am 2. Juni turnusgemäß ein neues Staatsoberhaupot gewählt wurde.

Daß der Präsident den 25. April zur Ankündigung gewählt hat, ist wohl der Tatsache zu danken, daß dies Italiens Nationalfeiertag ist, gewidmet der Befreiung von der deutschen Besetzung 1945. Cossiga nutzt seit je her die Wahrnahme geschichtsträchtiger Daten für seine zahlreichen Hiebe gegen die Parteien und demokratischen Institutionen. Auguren hatten daher für eine mögliche Ankündigung auch schon den 18. April ins Auge gefaßt, den Jahrestag des historischen Sieges der Democrazia cristiana (DC) über die Kommunisten 1948. Kurz zuvor hatte der damalige Regierungschef De Gasperi die Linke auf Geheiß der USA (sonst: keine Marshallplanhilfe) aus der Großen Koalition geworfen.

Cossiga als Kommunistenfreund

Doch in seiner Abgangsrede machte sich Cossiga rückwirkend sogar zum Kommunistenfreund — er sei, zusammen mit dem 1978 ermordeten Aldo Moro, der „überzeugteste DC-

Vertreter des Historischen Kompromisses gewesen“, der Mitte der 70er Jahre begonnenen, 1979 aber wieder aufgegebenen Zusammenarbeit zwischen Kommunisten und Katholiken. Kaffeesatzleser werten dies als ein letztes Signal des Präsidenten, die KP-Nachfolgeorganisation Partito democratico della sinistra (PDS) in die kommenden Regierungskoalition einzubinden, weil es sonst keinerlei hinreichend breite Mehrhreit geben kann.

Mit dem Sarden Cossiga geht ein Präsident, der, statt die Nation nach Verfassungsvorschrift zu einen, sie mehr als jeder andere Politiker gespalten hat. In den ersten vier Jahren schien der ehemalige Innenminister, der während der Terroristen-Hochzeit in den 70ern wegen seiner Härte oft mit SS-Runen geschrieben wurde, eher blaß. Als Nachfolger des charismatischen, vor allem auf Intellektuelle und Arbeiter wirkenden Sozialisten Sandro Pertini hatte er sich auf die Suche nach dem „gewöhnlichen Menschen“ gemacht: An den wolle er sich besonders wenden, ihn aber weder mit dem „durchschnittlichen“, noch mit dem „einfachen“ oder dem „mittelmäßigen“ Menschen verwechseln. Den Karikaturisten geriet Cossiga meist zu einer hausbackenen Figur mit Filzpantoffeln und einer Spielzeugeisenbahn vor dem Kamin.

Doch dann verkündete er unversehens Ende der 80er, er wolle sich nun „einige Steinchen aus dem Schuh schütteln“. Bald war niemand mehr vor ihm sicher: Nicht Privatpersonen, die er unsympathisch fand und öffentlich abkanzelte; nicht in- wie ausländische Journalisten, von denen er einen öffentlich als Hurensohn einstufte; und auch nicht Politiker und demokratische Institutionen. Die Presse erfand für ihn den Titel „Mann mit dem Pickel“ — was er kokett akzeptierte und alsbald zu seiner „eigentlichen Aufgabe“ erklärte: Die erste italienische Republik, gegründet auf dem breiten Widerstand gegen den Faschismus, habe ihre Aufgabe erfüllt, doch die Parteien seien zu träge und zu sehr mit Postenschiebereien und Intrigen beschäftigt, um die Transformation in die zweite Republik zu bewerkstelligen. Daher sei die Aufgabe des Präsidenten, das alte System so kaputtzuhauen, daß gar nichts mehr übrigbleibe, als die Verfassung entsprechend zu reformieren. Da diese Attacken oft gegen im Volk unbeliebte Politiker und auch gegen präpotente Industrielle gingen, hat er in diesem letzten Teil seiner Amtszeit wohl wirklich den „gewöhnlichen Menschen“ gefunden und ihm oft aus dem Herzen gesprochen.

Verschärfung der Krise befürchtet

Die politische Welt wäre bis vor ein, zwei Monaten wahrscheinlich erleichtert gewesen, hätte Cossiga sich zurückgezogen. Jetzt wird sein Schritt als „allerletzter Pickelschlag“ bewertet: Jetzt, da die alte Viererkoalition eine für die Regierungsfähigkeit völlig unzureichende hauchdünne Mehrheit hat und die Politfürsten streiten, ob und zu welchen Bedingungen in Italien erstmals die größte Oppositionspartei, die Ex- Kommunisten, in die Regierung dürfen, bräuchte man natürlich einen ausbalancierten Kompromiß. Daß sich der Präsident dieser Aufgabe entzieht, könnte die Krise nun noch verschärfen. Cossiga sieht das genauso und argumentiert andersherum: Gerade weil die Krise einen starken Präsidenten erfordere, trete er zurück, denn in den verbleibenden beiden Monaten seiner Amtszeit stünde ihm nicht mehr genug Spielraum zur Verfügung, sich zum Garanten einer stablilen Administration zu machen.

Die „gewöhnlichen Italiener“ nehmen es wohl hin. Schließlich ist es nicht das erste Mal, daß ihnen ein Präsident vorzeitig abhanden kommt. Antonio Segni etwa trat 1964 zurück, weil er — wohl nach einem bösen Zusammenstoß mit seinem Innenminister und den Geheimdienstchefs nach einem Putschversuch — einen Gehirnschlag erlitt. Giovanni Leone stürzte wegen des Lockheed-Bestechungsskandals ein halbes Jahr früher als vorgesehen ab. Sandro Pertini übergab seine Amtsgeschäfte drei Wochen früher als nötig - um dem mit einer bisher einmaligen Mehrheit von 93 Prozent gewählten Cossiga so schnell wie möglich den Umzug in den Quirinalspalast zu ermöglichen.