Vom Wurliwurm bis zur Halligalli-Discothek

■ Werder läßt die Tradition der Baumblütenfeste wieder aufleben/ Am Sonntag begann in Werder das 113. Fest der Baumblüte/ In den Gärten haben die Werderaner Gartenmöbel aufgestellt und verkaufen selbstgekelterten Obstwein

Werder. »Na wat einfallen lassen muß man sich schon zum Baumblütenfest!« meint Ralf Jakobs. Er ist kein Altwerderaner, aber begeisterter Obstweintrinker und hersteller. Erdbeer-Schlüpferstürmer, Johannisbeer-Bretterknaller und Süße Versuchung (Hagebutten) heißen beispielsweise drei seiner acht Obstweinsorten. »Alles selbstgemacht«, versichert er und zeigt auf die alten Holzpressen, die er am Stand gleich mit ausstellt. Ein Teil des Obstes hat er aus dem eigenen Hausgarten, das andere von benachbarten Obstbauern (Muckern) aus Werder. Der Wein in den vier Sauerkirschballons schmeckt unterschiedlich, hat 12 bis 13 Prozent Alkohol und ist süffig. Der Becher kostet 2 DM, eine Schmalzstulle 50 Pfennig. »Früher wurde die Turnhalle hier gleich um die Ecke vom Markt zum Baumblütenfest immer mit Stroh ausgeschüttet«. Erinnert sich Ralf Jakobs. Da kamen die Besoffenen dann alle rein, die hier im Laufe des Tages so liegen blieben. Oben von der Friedrichshöhe ging's noch einfacher. Da ist es abschüssig, und wer nicht mehr laufen konnte, wurde einfach runter gerollt. Unterhalb liegt gleich der Bahnhof von Werder, da wurden immer Sonderzüge aus Güterwagons zusammengestellt. Da kamen dann die ganzen Besoffenen aus Berlin rein und fuhren direkt nach Wannsee.« Sich heute am Markt mit Obstwein zu betrinken geht allerdings nur bei Ralf Jakobs. Was sonst noch auf dem Markt steht, findet sich auf jedem üblichen Wochenmarkt. Das eigentliche Baumblütenfest geht allerdings auch erst oberhalb vom Stadtkern los. Dort wo zwischen privaten Obstgärten Friedrichs-, Bismarck und Elisabethhöhe mit weiten Ausblicken über das Havelland locken. Zum Baumblütenfest haben die Stadtväter alles eingezäunt — der Eintritt kostet 2 DM. Ab jetzt geht das Gedränge richtig los. Der auf der Anreise befürchtete Stau war zwar ausgeblieben, doch dafür kommt man hier jetzt nur noch im Schneckentempo den Berg hoch. 60.000 Besucher, schätzten später die Veranstalter, hatten sich von dem schönen Wetter und dem Ruf der Werderaner zum Baumblütenfest locken lassen. Eigentlich wirkt es stellenweise eher wie ein Bierfest. Dicht an dicht reihen sich Imbißbuden, Bierstände (Maibock vom Faß), Straßenverkäufer und gräßlich laute Musikbühnen. Vom Wurliwurm bis zur Halligalli- Discothek« gibt's alles. Sogar eine Baumblütenrallye des MC Blütenstadt Werder lockt. Die Bismarckhöhe, die einst berümt war für den schönsten Ausblick überhaupt, hat ihre Gaststätte wiedereröffnet. Während Friedrichs- und Elisabethhöhe auch zu sozialistischen Zeiten noch offen hatten, waren die Räumlichkeiten der Bismarckhöhe zeitweise sogar profanes Möbellager. Ganz eingeschlafen war die Tradition des Baumblütenfestes jedoch nie. Sogar Jugendkonzerte gab es auf der Friedrichshöhe, bis es 1978 zu einer mordsmäßigen Massenschlägerei kam. Da war dann Schluß mit den offiziellen Festlichkeiten. Wenn die Bäume im Frühjahr blüten, besuchten dennoch eine ganze Menge Berliner immer wieder die Obstgärten um Werder. Am Ende des Weges erwartet den Besucher die Elisabethhöhe. »Bayern grüßt Brandenburg« ist hier das Motto. Im Bierzelt schunkeln begeisterte Leute nach original bayrischer Volksmusik, und ein Moderator kündet von der Festbühne, daß in wenigen Minuten das öffentliche Anstechen eines Bierfasses durch Prominente stattfindet, wie beispielsweise dem Bürgermeister von Werder. Das bayerische Bier ist teurer als das einheimische. »Alles Verbrecher«, schimpfen zwei Saufkumpanen. »Gleich ab nach Brandenburg in den Knast wegen Betrug!« schlägt der eine vor. Der andere meint: »Nein, besser gleich in den Tierpark in einen großen Käfig stecken und langsam verdursten lassen. Die minder schweren Fälle werden den Löwen vorgeworfen!« Ein Kinderkarusell lärmt, und leere Pappbecher fliegen. Hier gibt es genug Sitzplätze, doch viele kehren auch wieder um und versuchen ein ruhiges Plätzchen unter blühenden Bäumen zu finden. Längst nicht so viele Werderaner haben wirklich Stühle und Tische rausgestellt und verkaufen ihren berühmt-berüchtigten Obstwein. Die Sitzplätze in den blühenden Gärten links und rechts vom Weg, sind knapp. Bei Familie Buchwald findet die Besucherin endlich die gesuchte Atmosphäre. Rappeldicke voll ist es bei ihnen im Garten. Aus dem Haus raus, zwischen kleinen Schraubstöcken und technischen Meßinstrumenten verkaufen sie Kuchen, Kaffee, Obstwein, saure Gurken und sogar Linsensuppe mit Würstchen. »Eigentlich sind wir ja eine Uhrmacherwerkstatt«, erklärt Mathias Buchwald. Er hat so seine eigenen Vermutungen, warum so viele Werderaner die alten Traditionen nicht wieder so richtig aufleben lassen.

»Ursprünglich hatte die Stadt zugesichert, daß für die Wederaner der Verkauf von Wein und Kuchen für drei Tage gebührenfrei sein soll. Dann hieß es plötzlich, daß 55 DM bezahlt werden müssen. Die meisten Mucker hier, die selber Obstwein herstellen, haben aber nicht mehr als maximal drei bis fünf Ballons. Da lohnt sich das Ganze eben nicht, und sie trinken ihren Wein dann lieber selbst. Macht ja einen Haufen Arbeit, den Wein herzustellen.«

Bei Buchwalds lohnt es sich auf jeden Fall. Sie kommen kaum hinterher mit dem Verkauf, und die Pfirsichtorte für 3 DM geht genauso gut wie der Becher Obstwein für 2 DM. Petra Markstein