Ohne Sinn oder sinnlich?

■ »Die Dame, das Männchen Tod und die Spinne« im Ensemble-Theater

Eine Dame sitzt in einem Café und denkt an Südamerika und Männerschwänze. Das »Kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern« erfriert zum x-ten Mal in der Neujahrsnacht. Eine Tänzerin stirbt, umsorgt von ihrer eigenen Mutter. Eine Göre zitiert aus Hitlers Mein Programm, und ein toter Fernfahrer wird von seinen Eltern gen Himmel gezogen — Einsamkeit und Tod sind die zentralen Motive der einzelnen Szenen aus Die Dame, das Männchen Tod und die Spinne von Astrid Kohrs und Christian Fries. Ansonsten haben die sechs Szenen inhaltlich wenig gemein. Die Verbindung wird allein über das Spiel von Astrid Kohrs und das Atmosphärisch-Morbide, das über allem schwebt, geschaffen.

Verwirrt versucht man die erste, die Titelgeschichte, zu begreifen: da sitzt eine Dame, flirtet mit vorüberflanierenden Männern und erzählt von einer Bekannten, deren Mann bereits auf der Hochzeitsreise tödlich verunglückt ist. Sie analysiert das männliche Geschlecht und erstarrt zuweilen für den Bruchteil eines Augenblicks, kehrt das Innerste nach außen — den Mund zum stummen Schrei geöffnet. Dann wieder fallen markige Sätze: »Ich bin eine schiefe Ebene, glaub' ich«, oder: »Wenn ich doch mit einem Orang Utan verheiratet wär' oder Kämpfer in Nicaragua...« — das ausdrucksstarke Spiel von Astrid Kohrs verhindert gerade noch Überreaktionen, denn eigentlich möchte man lachen über diese zusammengewürfelten Sinnsprüche. Die Suche nach dem Übergeordneten, das die Szene zusammenhält, verläuft ergebnislos. Nur die Sinne werden angesprochen, der Text scheint überflüssige Zugabe zu sein, auch die Autoren verkünden im Programm: »Es läßt sich schwer etwas über diese Szene sagen«.

Für den zweiten Teil des Abends verläuft eine hüfthohe Mauer quer zum Publikum am Bühnenrand entlang. Dahinter dreht sich langsam Astrid Kohrs um die eigene Achse und erzählt mit leiser Stimme Andersens trauriges Märchen über das Mädchen, das sich vergeblich an kleinen Zündhölzchen zu erwärmen versucht. Zum Schluß des Märchens ist die Schauspielerin am anderen Ende der Mauer angelangt....

In »Sein Programm« ist wieder ein kleines Mädchen die Hauptfigur. Mit Schleifchen im Haar und einem weiten Rock bekleidet, spielt Astrid Kohrs mit einem Roller, ist verlegen, zupft an ihrer Kleidung herum und tritt schließlich nach vorn, um kindgemäß ungelenk Hitlers Familienprogramm vorzutragen. Nach der Rede verzieht sie schmerzlich das Gesicht, greift unter ihren Rock und zieht einen schwarz-rot-gold-gestreiften Penis zwischen ihren Beinen hervor, der Blut spuckt. Faschismus damals wie heute, hm? Immerhin.

Kleine Tanzeinlagen, in die Szenen eingewoben, begleiten dieses Nachtprogramm. Es ist Anita Berber gewidmet, einer Nackttänzerin und »Skandal-Frau« aus den zwanziger Jahren. Sie steht auch Pate für die zentrale Szene dieses Abends: »Totentanz«. Eine todkranke junge Frau ist der erdrückenden Pflege ihrer Mutter hilflos ausgeliefert. Beklemmend und düster spielt Astrid Kohrs die schwindsüchtige Frau auf ihrem Bett, ihrem Gefängnis. Sie wehrt sich und versucht die imaginäre Mutter fortzuschicken. Einen ähnlichen letzten Kampf zwischen Mutter und Tochter muß auch Anita Berber ausgetragen haben, und so endet die Szene mit einem grotesken »Toten(nackt)tanz«, der nichts Erotisches mehr in sich birgt, sondern nur noch als endgültige Kapitulation (vor dem Tod, vor der Mutter) zu verstehen ist. Zum ersten und einzigen Mal an diesem Abend verbinden sich Inhalt und ästhetische Motive zu einer beklemmenden Geschichte.

Die beiden letzten dagegen rauschen nur noch so vorüber: Da ist »Der Fernfahrer«, der angegurtet zwischen Himmel und Erde schwebt und auf Plattdütsch sein Leben resümiert. In »Brachland« sitzt eine Schauspielerin in einem schützenden Winkel, singt ein Lied von Marlene Dietrich an und ergießt sich in Sätzen wie: »Der Igel ist tot«, oder so ähnlich.

Mal angenommen, die Szenen hätten mehr zu bieten als ästhetisches Gefummel und die Aneinanderreihung von Buchstaben, so ist das für den Zuschauer jedenfalls nicht nachzuvollziehen. Die Assoziationen sind zu privat, die erstellte Atmosphäre ertrinkt in Inhaltsleere. Nur das gelungene Spiel rettet vor allzu großer Peinlichkeit. Anja Poschen