: »Hier gehörste einfach dazu«
■ Für zwanzig Jugendliche aus Prenzlauer Berg bietet ein drogenpräventives Projekt ein neues Freizeitgefühl/ »Seitdem wir herkommen, hat keiner mehr so richtig Scheiße gebaut«
Wer ihn in Prenzlauer Berg sucht, und womöglich nach einem großen Hinweisschild Ausschau hält, wird wenig Erfolg haben. So unauffällig klein wie jeder andere Bewohnername ist der Verein »Freizeit ohne Drogen« auf dem Klingelschild eines alten Mietshauses zu lesen. Und das ist gewollt. Kein offener Jugendtreff soll die Zweizimmerwohnung im Erdgeschoß sein, sondern ein Freizeitheim für zwanzig Jugendliche aus der Umgebung, die regelmäßig kommen. »Nestwärme« heißt das Projekt, das allerdings von den Jugendlichen nie beim offiziellen Namen genannt wird. »Ich gehe in den Club«, sagen sie, und trotzdem trifft der echte Name zu. Nestwärme beschreibt die Atmosphäre, das ist das Defizit der Jugendlichen hier«, sagt Projektleiterin Gabi Schäfer. Die meisten kommen aus schwierigen Familienverhältnissen und haben eine Vorgeschichte mit Straftaten, meist unter Alkoholeinfluß.
Gedacht war das vom Drogenreferat finanzierte, suchtpräventive Projekt für arbeitslose Jugendliche, doch mittlerweile haben fast alle eine Lehrstelle oder einen Arbeitsplatz — »das ist ein erstes Erfolgserlebnis«, sagt Gabi Schäfer zu dem Projekt, das sie vor einem halben Jahr startete. Demnächst werden ein selbstgestalteter Sportraum und ein Fotostudio das Freizeitangebot erweitern. Ansonsten sind Sozialarbeiterin Gabi Schäfer oder ihr Kollege Dirk Lykar täglich bis spät abends in der Wohnung, wenn sie die Jugendlichen nicht gerade bei Behördengängen begleiten oder einen Termin bei der Jugendgerichtshilfe haben.
Die Sozialarbeiterin ist für die Jugendlichen Kumpel und zugleich Gesprächspartner bei Problemen. Sie versucht, gezielt Themen wie Gewalt, Drogen oder Verhütung anzusprechen, »manchmal ergeben sich auch spontan gute Gespräche«. Vorträge halten könne sie nicht, »da hört sowieso keiner zu«.
Vor kurzem schauten sie zusammen einen Fernsehbericht des Magazins Report über türkische Jugendliche an. »Ausländerfeindlichkeit ist eine ganz heiße Sache bei uns«, persönliche Kontakte zu Ausländern fehlten — außer den schlechten Erfahrungen bei Schlägereien. Im Sommer werden sie mit einer türkischen Jugendgruppe aus Kreuzberg zusammen Urlaub machen, »da werden wir versuchen, diejenigen mitzunehmen, die Schwierigkeiten mit Ausländern haben.« Ihre Erwartungen hat die 33jährige Projektleiterin niedrig angesetzt: »Ich kann nur versuchen, Toleranz zu erreichen, gegenseitige Akzeptanz ist schwer.«
Martin sitzt in der Küche und schaut sich stolz um. »Das hier ist meine Arbeit«, sagt der 17jährige und meint die neu gestrichene Wand. Rotlackierte Türen und Ofen, rosa Fensterrahmen — im Dezember vergangenen Jahres renovierten die Jugendlichen die Wohnung selbst. »Ich war einer der ersten, wir haben tagelang gemalt.« Dazugekommen sei er, weil Gabi Schäfer ihn angesprochen habe in einem offenen Jugendclub in Prenzelberg, in dem sie früher gearbeitet hatte. Aus dem Radio auf dem Kühlschrank singt Elton John, den Martin »außer Techno ziemlich geil« findet. Eigentlich ist Martin jeden Tag da, »besser, als auf der Straße rumhängen«, außerdem sei »die Atmosphäre total in Ordnung«.
Der rundliche Martin trägt seine blonden Haare millimeterkurz, einen weinroten Blouson und nagelneue Schuhe. Nach der Wende war er ein Jahr arbeitslos, vor kurzem bekam er eine ABM-Stelle als Koch in Tegel. Während Martin überlegt, spielt er mit einem goldfarbenen Feuerzeug, auf dem ein schwarzer Deutschlandadler gedruckt ist. Die Narbe im Gesicht hat er von ein paar Punks, »die mit einer Glasscherbe auf mich losgegangen sind«. Früher habe er bei Krawallen mitgemacht und sei mit Hooligans zu Fußballspielen mitgegangen. »Ich habe drei Anzeigen wegen Körperverletzung am Hals, deswegen halte ich mich jetzt zurück.« Zwei seiner drei Baseballschläger hat er verkauft, und einen Gabi Schäfer geschenkt. Sozusagen als Beweis, »daß ich mich nicht mehr keilen will«. Ja, das habe viel damit zu tun, daß er jetzt immer hier sei. Von Elten John ist im Wohnzimmer wenig zu hören, dort dröhnt Technomusik aus der Stereoanlage. Henrik läßt sich auf eines der zwei neuen, schwarzen Sofas fallen. »Es ist toll hier, man kann fernsehkieken und sich mit anderen unterhalten.« Vorher sei er »mit Kumpels auf Plätzen rumgehangen«. Er will sich nicht »als Hool bezeichnen, aber ich kenne viele«. Henrik wohnt noch bei seiner Mutter zu Hause, sein Vater starb, als er fünf Jahre alt war. Zwei Jahre war der 17jährige arbeitslos, jetzt arbeitet er als Bauhelfer, »das hat Gabi mir vermittelt.« Vor zwei Monaten war er bei seiner ersten Gerichtsverhandlung wegen Einbruchs, zwei stehen noch aus.
»Neulich lag ich mal im Bett und habe mir überlegt, daß das ganz schön beschissen wird, in den Knast zu müssen«, sagt er leise, ansonsten verdränge er den Gedanken. »Seit ein paar Monaten breche ich nirgendwo mehr ein«, erstens wegen des Gerichts, zweitens wegen seiner Freundin und weil er es mittlerweile selbst blöd findet, »außerdem verdiene ich ja jetzt Geld«. Wovon träumt er? »Von einer eigenen Wohnung, einem Cabrio und einer Freundin, die nicht nur an Geld interessiert ist«.
Mittlerweile hat sich die Küche gefüllt. Die Jugendlichen trinken Zitronentee und unterhalten sich. »Seitdem wir hierherkommen, hat keiner mehr so richtig Scheiße gebaut«, sagt Jochen, und Stefan stimmt ihm zu. »Wenn man auf der Straße rumhängt, ist man dazu viel schneller bereit«. Der 16jährige haßt allerdings Schlägereien und findet die Ausländerfeindlichkeit »völlig daneben«. Darüber hier im Jugendtreff zu diskutieren, bringe nichts, »jeder hat seinen Standpunkt«. Das Gute sei aber, daß jeder die Meinung des anderen akzeptiere. Stefan verbringt seine Freizeit und auch Ferien meistens im Projekt. Warum? »Hier gehörste einfach dazu.« Corinna Emundts
Namen der Jugendlichen geändert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen