Die Stasi-City will normal werden

■ Serie: Berlin vor den Kommunalwahlen (Teil 18)/ Hohenschönhausen ist der jüngste Stadtbezirk — und der verrufenste

Hohenschönhausen. Von Marzahn und seiner Malaise redet die ganze Republik. Auch Hellersdorf ist vielen Westberlinern ein Begriff. Aber Hohenschönhausen?

Hohenschönhausen ist der jüngste unter den drei Neubaubezirken im fernen Osten der Stadt. In den Augen vieler Ostberliner ist er auch der verrufenste. »Für viele ist das hier einfach nur Stasi-City«, klagen die Bezirkspolitiker. In den Plattenbauten mit ihren fünf, elf oder 21 Geschossen leben viele ehemalige Mitarbeiter der Staatssicherheit, die in der Stasi-Zentrale im benachbarten Lichtenberg ihrer Arbeit nachgingen. Als Indiz für den MfS-Anteil werten viele den Stimmenanteil der PDS. Sie wurde bei den letzten Kommunalwahlen mit 39 Prozent stärkste Partei. In Hohenschönhausen stand auch der berüchtigte Stasi-Knast, der jetzt Gedenkstätte werden soll. Und an den Ufern von Oranke- und Obersee reihte sich eine Stasi-Villa an die andere. Nur wie hoch der Stasi-Anteil unter den 124 Bezirksverordneten in der amtierenden BVV ist, werden die Wähler nie erfahren. Die Anträge auf Überprüfung seien wegen Formfehlern von der Gauck-Behörde immer wieder zurückgeschickt worden, bedauert der Umweltstadtrat und SPD-Spitzenkandidat Matthias Stawinoga. Von vornherein hatte nur die Hälfte der Bezirksparlamentarier ihrer Überprüfung zugestimmt. Die Verordneten der PDS verzichteten komplett darauf. »In dieser Wahlperiode«, so Stawinoga, »wird es nicht mehr zu Ergebnissen kommen. Das wirft kein gutes Licht auf die BVV«.

»Dieses Stasi-Image verdeckt viele andere Dinge«, klagt dagegen Bezirksbürgermeister Rudolf Buschko im Rathaus an der Großen Leege Straße. Bis zur Wende beherbergte der Betonbau die »rückwärtigen Dienste« des MfS. Der Konferenztisch in Buschkos Arbeitszimmer stammt aus der Mielke-Villa am Obersee.

»Aber«, sagt Buschko, »es gibt ja nicht nur Stasi hier.« Sondern — ein Beispiel — auch viele Kinder, die gemeinhin als unschuldig gelten. 28 Prozent der Hohenschönhauser sind jünger als 15 Jahre. An Einrichtungen für Kinder und Jugendliche mangelt es jedoch. Vor allem die Grundschulen platzen aus allen Nähten. Um die 1.200 ABC-Schützen aufnehmen zu können, die im September zum neuen Schuljahr erwartet werden, muß Volksbildungstadtrat Rainer Giesecke (SPD) 74 Container-Klassenzimmer aufstellen lassen. Werden die Kinder älter, stehen sie erst recht auf der Straße. Zwei Dutzend Jugendliche haben sich unter dem Namen »Schrittfisch« zusammengetan, um für einen Treffpunkt zu kämpfen. »Wir fühlen uns wie ein Fisch auf dem Trockenen«, erklärt die 18jährige Sandra Brennecke, »deshalb nennen wir uns Schrittfisch.«

Erwachsenen geht es nicht viel besser. »Anders als in Marzahn gibt es kein Ortszentrum, kein Einkaufszentrum, keine Eckkneipen«, klagt Buschko. Wer auf der Suche nach Amüsement den Bezirk verlassen will, hat es auch nicht leicht: Die Verkehrsanbindung mit Straßen und S-Bahnen ist miserabel. »Mit dem Auto ist es schon ein Problem, mit öffentlichen Verkehrsmitteln fast unmöglich«, ärgert sich der CDU-Verordnete Bachmann. West-Berlin, klagt Baustadtrat Eckart Baum (SPD), sei nur mit mehrfachem Umsteigen zu erreichen.

Damit sich die Lage bessert, haben sich die Bezirkspolitiker zunächst einmal auf einen wohlklingenden Slogan verständigt. Pressesprecher Manfred Höhne führt ihn ständig im Mund: »Hohenschönhausen — wieder eine gute Adresse«. Und nie wieder Stasi-City. »Concorde City Nord-Ost« paßt besser in die Zeit. Unter diesem rasanten Titel stellte Baum vor zwei Monaten ein Projekt mehrerer Investoren vor, die an der Landsberger Allee auf 25 Hektar ein gigantisches Büro- und Dienstleistungsviertel aus dem Boden einer ehemaligen Gärtnereigenossenschaft stampfen möchten. »Nirgendwo im Bezirk gibt es so eine Chance«, sagt der Baustadtrat. »Anders als überall sonst gibt es keine Restitutionsansprüche. Das Land ist schon in der Hand der Investoren.«

Diese Pläne sind nicht unumstritten. Das Bündnis 90, das den Bezirk in einer Koalition mit der SPD verwaltet, fürchtet ein »Büroghetto«, geißelte Baums »Alleingang«. Aber das Bündnis ist sich mit den anderen Parteien einig, daß Hohenschönhausen ansiedlungswillige Investoren braucht, um den Charakter der »Schlafstadt« los zu werden und den etwa 12.000 Arbeitslosen einen Job zu verschaffen. Der bislang größte Gewerbebetrieb am Ort, immerhin, ist schon in festen Händen: Im ehemaligen VEB Getränkekombinat füllt jetzt Coca-Cola seine Brause ab.

Ansiedlung von Gewerbe, eine bessere Verkehrserschließung, Läden, Freizeit- und Kultureinrichtungen, mehr Schulen, eben eine »normale, gesunde Mischung« (Stawinoga) — damit ist das Programm aller Parteien des Bezirks umrissen. Aber die Bezirkspolitiker zweifeln, ob sie ihre Ziele überhaupt voranbringen können — angesichts ungeklärter Eigentumsverhältnisse und fehlender Rahmenplanungen des Senats. »Zwei Jahre habe ich gearbeitet, und nichts dreht sich«, klagte jüngst Baustadtrat Baum vor der BVV.

Wenn PDS-Spitzenkandidat Klaus Gebauer eine Bilanz der Bezirksamtsarbeit ziehen soll, fällt ihm ein vernichtender Satz ein. »Die Wähler wissen gar nicht, was eigentlich gemacht worden ist«, sagt er. Daß sich auch im Bezirk etwas bewegen läßt, machte die vor zwei Jahren aus West-Berlin importierte Gesundheitstadträtin Brunhild Dathe vor. Überall heimst sie ob ihrer effizienten Arbeit Lob ein. Die Privatisierung der Polikliniken nutzte Dathe, um ein Ziel zu erreichen, dem sie in ihrer Zeit als Kreuzberger Gesundheitstadträtin vergeblich nachgejagt war: Aus der Poliklinik Robert Koch machte sie ein Gesundheitshaus mit etwa 20 Ärzten verschiedener Fachrichtungen, einem Dialysezentrum und einer Sozialstation. Das Bündnis 90 nominierte Dathe jetzt als Spitzenkandidatin. »Sie ist kein Besserwessi«, konstatiert Bündnis-Fraktionschef Bernd Häusler.

»Bisher«, so urteilt Dathe über ihre Kollegen, »wurde zuviel nebeneinander gearbeitet.« Manchmal auch gegeneinander. Vor allem die SPD und Bürgermeister Buschko hatten im letzten Jahr für monatelange Querelen gesorgt. Nach massiver Kritik aus den eigenen Reihen — er mische sich in fremde Ressorts ein, gehe nicht konsequent gegen Grundstücksmanipulationen ehemaliger Stasis vor — war Buschko im März 1991 aus der SPD ausgetreten. Ein Abwahlantrag, den die SPD nachschob, scheiterte zwar an der Stimmenthaltung der PDS. Nach den Wahlen sind Buschkos Tage im Rathaus jedoch definitiv gezählt. Er wird statt dessen einen persönlichen Beitrag zur Verbesserung der Infrastruktur in Hohenschönhausen leisten: Der gelernte Bauingenieur und Thomas-Mann-Liebhaber eröffnet am 1. August im Neubaugebiet eine Buchhandlung. Hans-Martin Tillack

Die Serie wird heute in einer Woche mit dem Bezirk Wilmersdorf fortgesetzt.