Milde bei Postdamer Stasi-Verstrickungen

■ Zehn Landtagsabgeordnete waren als IM registriert/ Keiner wurde zur Mandatsniederlegung aufgefordert

Berlin (taz) — Milde walten zu lassen, ist eine vornehme Pflicht der Kirche. Das müssen sich auch die beiden kirchlichen Vertrauensleute im Potsdamer Ladtag, der berlin-brandenburgische Generalsuperintendent Bransch und Monsignore Ducke gedacht haben. Beide sind mit der Sichtung und Wertung der Stasi-Überprüfungsergebnisse über die Landtagsabgeordneten betraut. Bei zwölf der 88 Abgeordneten entdeckte die Gauck- Behörde mehr oder weniger dezidierte Hinweise auf eine Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst. Nur zwei, Henrik Poller und Bernd Reuter vom Bündnis 90, hatten nach Eingang der Überprüfungsberichte ihr Mandat — freiwillig — niedergelegt. Die übrigen zehn gelten dem Vertrauensgremium als „Grenzfälle“ — in ihrem Abschlußbericht vom 29.November 1991, der der taz vorliegt, kamen Bransch und Ducke zum Ergebnis, „keinen Rat zu einer Mandatsniederlegung zu erteilen“.

Die von der Gauck-Behörde mitgeteilten Hinweise sind eindeutig, die Recherchen und Aussagen der Vertrauensmänner, die bislang selbst nicht überprüft wurden, schlampig. Insbesondere in der Debatte um Ministerpräsident Manfred Stolpe mutete es merkwürdig an, wenn einerseits Abgeordnete der PDS (3), der CDU (2), FDP (2) und der SPD (2) und der Ex-CDU Abgeordnete Johannes Winter (heute fraktionslos) aufgrund von Kriterien entlastet werden, die für CDU und Bündnis 90 andererseits die Suspendierung des Ministerpräsidenten begründen sollen. Dem Abschlußbericht zufolge ergaben die Gauck-Recherchen:

— Marga Beck (CDU) wurde als „Inoffizieller Mitarbeiter“ der Kategorie IMS geführt, ebenso waren Klaus Häßler (CDU) und Alfred Pracht (FDP) und der frühere Cottbuser CDU-Landesvorständler Johannes Winter als IMS registriert. Der FDP-Landesvorständler Rainer Siebert wurde von 1970 bis 1973 als IM geführt, von der Lehrerin Gerlinde Stobrawa (PDS-LL) eine Registrierung als IMS/IME („Experte“) vorgefunden. Die PDS-LL-Abgeordnete Margot Theben aus Frankfurt (Oder) als IMK (K für „Konspiration“) geführt.

— vom Jüterboger Siegfried Jausch (SPD) und vom PDS-Landesvorständler Michael Schumann wurden Verpflichtungserklärungen gefunden.

Bransch und Ducke zogen sich in ihrem Gutachten hinter die mit den Fraktionsvorsitzenden vereinbarten Kriterien zurück, die eine Mandatsniederlegung für den Fall empfehlen, daß eine Verpflichtungserklärung eingegangen wurde, Angaben über Decknamen, Führungsoffizier und Auftrag vorliegen, Geldleistungen oder Auszeichnungen erhalten wurden und Berichte oder weitergegebene Informationen vorliegen. In einigen Fällen gehen die Kirchenmänner auch davon aus — der Fall des Ministerpräsidenten läßt grüßen — „daß die Betroffenen nicht einmal wußten, daß sie als IMS geführt werden“. Bransch und Ducke: Wir „wagen die Aussage, daß sich in der Landesregierung und im Landesparlament nach menschlichem Ermessen keine Mitglieder finden, die aufgrund ihrer Beziehungen, die der Staatssicherheitsdienst zu ihnen hatte, des parlamentarischen und öffentlichen Vertrauens unwürdig wären“.

Bleibt anzumerken, daß nach den heftigen Debatten um Manfred Stolpe CDU und FDP jetzt eine Gleichbehandlung von Abgeordneten und Ministerpräsidenten und eine neue Überprüfung der Mandatsträger fordern. Wolfgang Gast