„Sie hätten anders handeln können“

Bewährungsstrafen für ehemalige Bürgermeister von Halle im Prozeß gegen Wahlfälschung  ■ Aus Halle Nana Brink

Halle (taz) — Zu acht beziehungsweise sechs Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilte gestern das Kreisgericht Halle den ehemaligen Bürgermeister der Stadt, Manfred Nitzer, sowie die drei Bezirksbürgermeister Kurzweg, Noack und Wilhelm. In seiner Urteilsbegründung befand der Vorsitzende Richter Weber die vier Angeklagten der Fälschung der Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989 für schuldig. Trotz nachgewiesener „gelegentlicher Unmutsäußerungen“ gegenüber der SED-Stadt- wie Bezirksparteileitung hätten sie die vorab von der Partei anvisierten konkreten Zahlen „nach unten durchgestellt“, urteilte Richter Weber. Auch wenn ihnen keine unmittelbare Beteiligung an der Fälschung nachgewiesen werden könne, hätten sie das offensichtlich falsche Ergebnis amtlich beurkundet. Richter Weber: „Die Angeklagten sind auch Täter, sie hätten anders handeln und mehr Rückgrat zeigen können.“ Strafmildernd wirke sich die Reue der Angeklagten aus — alle hatten sich öffentlich bei der Bevölkerung entschuldigt — sowie der bewiesene Umstand, daß sie „nicht aus eigenem Antrieb“ gehandelt hätten.

Wenig beachtet lieferte der Wahlfälscherprozeß in Halle dezidiertes Beweismaterial, das den Verdacht einer von oben nach unten straff gesteuerten Wahlfälschung bestärkte. Zwei Zeugen aus der ehemaligen Rechnungsstelle des halleschen Rathauses, bei der die Ergebnisse aus allen Wahlbezirken einliefen, berichteten von nachträglichen Manipulationen; ebenso erzählten Mitarbeiter in den einzelnen bezirklichen „Meldeköpfen“ in zum Teil erschütterten Auftritten vor dem Gericht, wie die von ihnen mit Bleistift ausgefüllten Zahlen von sogenannten „Meldereitern“ korrigiert worden seien. Schließlich brachen auch die Angeklagten nach den Zeugenvernehmungen ihr Schweigen. Mit dem Ausruf: „Die Computer im Bezirk waren sauber. Und wir auf der unteren Ebene mußten die Dreckarbeit machen“, klagte Bezirksbürgermeister Arthur Wilhelm.

Das Verfahren gegen die ursprünglich mitangeklagten stellvertretenden Bezirksbürgermeister wurde vorläufig eingestellt. Sie kommen mit einer Geldbuße von 5.000 Mark davon. Währenddessen hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen den ehemaligen Chef der SED-Bezirksleitung von Halle, Karl-Heinz Falkenstein, angekündigt. Die Wahlfälschung habe „größere geistigen Väter“ als die, die jetzt vor Gericht standen.