INTERVIEW
: Der über Autos geht

■ Der Münchener Michael Hartmann (25) hat sein Sozialpädagogikstudium unterbrochen, um individuellen Widerstand gegen den Verkehrsinfarkt zu leisten

taz: Warum hast du die Aktionsform des „Car-Walking“ entwickelt? Es ist doch viel bequemer, um die Autos herumzugehen.

Michael Hartmann: Ich wollte den Leuten zeigen, daß der Mensch über dem Auto steht. Und die Leute haben auch positiv darauf reagiert. Viele haben gelacht.

Bist du einfach auf irgendein Auto raufgestiegen?

Nur auf die, die auf dem Bürgersteig standen. Und das waren mindestens 300, vielleicht auch 500 oder 800. Ich bin auch über Autos gestiegen, in denen Leute saßen.

Was haben die dazu gesagt?

Die waren etwas erschüttert. Nach einer Schrecksekunde ging dann meist die Türe auf, und der Fahrer hat hinter mir hergerufen. Dann bin ich zu ihm zurück, habe ihm meinen Ausweis gegeben und ihm gesagt, er könne jetzt zum Gutachter fahren, und wir würden uns vor Gericht wiedersehen.

Hast du auch mal Prügel bezogen?

Ja, fast. Aber die Freundin hat ihn davon abgehalten. Gerade noch so.

Du flüchtest nicht?

Nein, nein, nein, ich stehe das schon durch. Ich setze mich auch nicht zur Wehr. Ich erkläre den Autofahrern, was ich will.

Hinterläßt du Beulen im Blech?

Nenene. Ich steige mit dem ersten Fuß auf die Stoßstange, mit dem zweiten auf die vordere Motorhaube, dann aufs Dach hinauf. Mit einem oder zwei Schritten überquere ich das Dach. Wenn es dabei eine Delle reinhaut, ist es scheißegal, weil die springt meistens gleich wieder raus. Mehrmals haben mich Polizisten beobachtet und die Autos auf Schäden untersucht. Weil sie nichts feststellen konnten, mußten sie mich gehenlassen.

Aber einmal bist du verknackt worden.

Da mußte ich 15 Tagessätze zu zehn Mark bezahlen.

Steigst du auch über Cabrios?

Es kommt darauf an, ob sie einen Steigbügel haben. Wenn die so einen Bügel haben, mach' ich das eventuell.

Sind Leute deinem Beispiel gefolgt?

Nein, das glaube ich nicht. Das hat keine Kreise gezogen. Obwohl ich dazu auch Car-Walking-Seminare abgehalten habe. Da habe ich den Leuten erklärt, wie man über Autos rübersteigt. Sie haben das auch probiert. Wenn sie es geschafft hatten, ohne Delle rüberzukommen, habe ich ihnen eine Urkunde überreicht.

Weil du damals Geld bezahlen mußtest, hast du die Aktionsform gewechselt.

Danach habe ich erst mal ausprobiert, wie es ist, sich mitten auf die Leopoldstraße zu stellen. Das ist eine Hauptstraße in München. Dort habe ich Brotzeit gemacht. Die Autofahrer haben gehupt, geschrien und versucht, mich mit ihrem Auto von der Fahrspur zu drücken. Manche sind ausgestiegen und haben mich von der Fahrbahn gezerrt. Aber als sie wieder eingestiegen waren, stand ich schon längst wieder vor ihrem Auto.

Ist es nicht eine gefährliche Angelegenheit, sich im fließenden Verkehr mitten auf die Straße zu stellen?

Ne, überhaupt nicht. Man kann auf die Straße gehen, wenn die Ampel für die Autos rot ist.

Und als nächstes willst du mitten auf der Straße spazierengehen?

Genau. Anfang Juni sollen mindestens 50 Leute alle Wege, die sie sonst auf dem Bürgersteig machen, in der Mitte einer Fahrspur zurücklegen. Auch die Radlfahrer sollen mitten auf der Straße fahren.

Ist dein Ziel die autofreie Innenstadt?

Mehr als das. Unsere Forderungen sehen so aus: Tempo 30 im ganzen Stadtgebiet. Als nächster Schritt ein Fahrverbot für alle privaten PKWs von 20 Uhr abends bis sechs Uhr morgens. Das nächste wäre dann ein Wochenend-Fahrverbot.

Und schließlich sollen überhaupt keine Autos mehr in der Stadt fahren?

Ja, klar. Ich möchte einen Beitrag zu der notwendigen ökologischen Revolution leisten, um die Erde zu retten.

Bis wann, meinst du, können deine Forderungen durchgesetzt sein?

An unserem Aktionstag werden vielleicht 2.000 Radlfahrer mitmachen. Dann denke ich, am zweiten Tag, nachdem es in den Zeitungen stand, werden noch 8.000 Radlfahrer dazukommen. Das sind schon 10.000, und wer meinen Videofilm kennt, weiß, welches Chaos unter den Autofahrern entsteht, wenn jemand in der Mitte einer Fahrspur fährt. Eine Fahrspur fällt ja dann weg. Bis in zwei Jahren könnte die Stadt bis zum Mittleren Ring für alle Nicht-Anwohner gesperrt sein.

Was willst du machen, wenn das mit dem Autoverkehr soweit erledigt ist?

Mich nervt der Flugzeugverkehr.

Willst du auf der Landebahn spazierengehen?

Ich weiß noch nicht genau, aber mir wird schon etwas einfallen. Das Gespräch führte Hannes Koch