INTERVIEW
: „Die Deutschen fürchten um ihren blauen Lappen“

■ Niedersachsens Grüner Europa-Minister Jürgen Trittin setzt auf EG-Europa gegen den Regionalismus von rechts/ „Die Fronten verkehren sich“

taz: Die Grünen waren traditionell vehemente Gegner der EG. Jetzt ergibt sich die Gelegenheit, den EG-Prozeß vielleicht nicht zu stoppen, aber doch die Kritik daran einem neuerdings interessierten Publikum zu vermitteln. Warum verhalten sich die Grünen so defensiv?

Jürgen Trittin: Bezogen auf Niedersachsen, wo ich zuständig bin für diesen Bereich, haben wir durchaus versucht, grüne Elemente in die Debatte hineinzubringen. Wir haben zum Beispiel eine stärkere demokratische Legitimation der EG gefordert. Daß dies nicht wirklich gewährleistet wurde, ist unser Hauptkritikpunkt. Diese Defizite müssen zum Teil über innerstaatliches Recht nachgebessert werden, aber man wird die Ratifizierung nicht verhindern können.

Obwohl die Front der Kritiker in EG-Europa wächst?

Das muß man mir erklären, wie ich meine Landesregierung dazu bringen soll, gegen ein Gesetz zu stimmen, was die Möglichkeit beinhaltet, daß Ausländer — nicht alle, auch nicht die meisten, aber doch wesentliche Teile unserer ausländischen Wohnbevölkerung — sich zumindest an Kommunalwahlen beteiligen können. Dafür sind wir bis zum Bundesverfassungsgericht gegangen, haben damals zwar verloren, aber jetzt wird es dank Europa doch teilweise Realität. Die Unionsbürgerschaft ist unzweifelhaft ein positives Element.

Ist dies eine neue Realpolitik der Grünen vis-à-vis der EG?

Das Problem in meinen Augen ist, daß Europa in Deutschland in dem Moment in die Diskussion gekommen ist, wo es — ich betone: angeblich — um den Wohlstand der Deutschen geht. Die Leute glauben, daß mit der Wirtschafts- und Währungsunion eines der identitätsstiftenden Elemente dieser Republik, der blaue Lappen, verschwindet. Dabei wird verkannt, daß die Bedingungen dafür sehr, sehr restriktiv sind. Die Bundesrepublik würde heute die eigenen Bedingungen dafür nicht erfüllen können. Es wird auch verkannt, daß es heute schon so etwas wie eine Europäische Zentralbank gibt — nur daß die Bundesbank heißt und in Frankfurt sitzt.

Die Euro-Grünen warnen vor der „Renationalisierung“ der Politik in Europa...

Was da abgefeiert wird, ist erstens die Wirtschaftswunder-Identität der Deutschen, die einhergeht mit einer satten Portion nationaler Überheblichkeit. Ausgerechnet an diesem Punkt eine Debatte über Europa vom Zaun zu brechen, halte ich für falsch. Es gibt viel an Maastricht zu kritisieren — aber nicht den dort unternommenen Versuch, europäisch das zu regeln, was sich auf Grund der ökonomischen Stärke der Deutschen schon lange vollzogen hat — nämlich eine bestimmte Vorherrschaft. Zweitens geht es um den Unwillen der Deutschen, ihren Reichtum zu teilen. Deswegen ist es kein Zufall, daß die Kritik an Maastricht gerade vom rechten Lager kommt.

Nun legen die Rechten europaweit zu, sie sprechen mit ihrer EG-Kritik wirkliche Ängste an...

Die Fronten beginnen sich zu verkehren. Diejenigen, die immer sehr EG- kritisch waren, kommen nun in die Situation, wo sie Europa — oder die Idee einer trans- oder supranationalen Organisation — verteidigen gegen einen Regionalbegriff von Europa, der einen neuen Nationalismus formuliert. Die „Ligen“ in der Lombardei geben sich zwar ganz heimatverbunden, sie sagen aber ganz einfach: Wir als Lombarden sind besser als die Durchschnittsitaliener, und deswegen wollen wir mit denen auch nichts mehr zu tun haben und auch Transferleistungen nicht mehr zahlen. Dies popularisiert sich ungeheuer vor allem in Schichten, von denen unsere Leute immer geglaubt haben, sie wären dagegen immun. Dies ist nämlich der „gute Bürger“; es sind nicht die Verlierer, sondern die Gewinner dieser Gesellschaft. Eine grüne Strategie dagegen heißt, erst einmal die Ursachen dafür zu benennen und das nicht weiter für ein Außenseitersyndrom zu halten. Außerdem müssen wir versuchen, den Regionenbegriff positiv zu besetzen, demokratisch, multikulturell, kooperativ.

Gibt es also eine Allianz der Europäer Trittin und Kohl gegen die guten Bürger?

Ich weiß es nicht. Ich habe ja zu den Ergebnissen von Maastricht erhebliche Vorbehalte. Denn es ist der Ministerrat gestärkt worden, das ist das undemokratischste Gremium überhaupt. Dann hat man die Kompetenzen des Europarlaments erweitert und den Regionalausschuß etabliert, hat aber beide in Konkurrenz zueinander gestellt. Und in diesen Regionalausschuß möchte man nun auch noch die Kommunen reinbringen. Deswegen finde ich die Verhandlungsführung von Kohl alles andere als gut. Man kann also nicht sagen, Kohl und Trittin gegen die guten Bürger. Aber dennoch: Die Idee eines anders verfaßten Europas werden wir schon verteidigen müssen gegen das neue Europa der Regionen, das nationalistisch buchstabiert wird.

Interview: Michael Bullard