Wer zahlt für die Öffnung zum Osten?

Der ärmere Süden Europas fürchtet, bei der Ausweitung der EG gen Osteuropa vergessen zu werden  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

Die Armen werden ärmer, die Reichen reicher. Dieses Grundgesetz des Weltmarkts trifft auch auf Europa zu — trotz aller Hilfszahlungen der EG. Die Integration Europas ist zwar erklärtes Ziel der Gemeinschaft. Allein die Fakten sprechen eine andere Sprache. Selbst ärmere EG-Länder wie Griechenland und Portugal, die den Löwenanteil der Hilfen einstreichen, wurden in den letzten Jahren weiter abgehängt. Einziger Trost: Im Verhältnis zu den noch ärmeren Ländern in der Dritten Welt und in Osteuropa geht es für sie aufwärts.

Weil dieser insgesamt negative Trend die Vollendung des Binnenmarkts, aber auch die Stellung der EG innerhalb des gesamten Europa gefährde, fordert der Präsident der EG-Kommission, Jacques Delors, eine Erhöhung des Gemeinschaftshaushalts um 32 Prozent in den nächsten fünf Jahren. Mit den zusätzlich rund 35 Milliarden DM, die dadurch gewonnen würden, sollten die diversen Hilfsfonds aufgestockt werden. Nur sind die Zahlmeister der EG — Deutschland, Großbritannien und Frankreich — derzeit jedoch selbst knapp bei Kasse.

Der zögerliche Griff in den Staatssäckel hat aber noch einen anderen Grund: Es besteht längst keine Einigkeit darüber, wer den Geldsegen abbekommen soll — die armen EG- Länder wie Griechenland, bei denen die Milliarden, so die Kritiker, nur spurlos versickerten, oder die Länder Osteuropas. Erweiterung oder Vertiefung der Gemeinschaft — dies könnte sich zur Seinsfrage der EG auswachsen. Schließlich verbergen sich dahinter recht unterschiedliche Interessen.

Grob zusammengefaßt wollen die Regierungen der Südländer — und allen voran Frankreich — erst die Vertiefung, dann die Erweiterung. In der Downing Street wird die gegenteilige Lösung bervorzugt, während man in Bonn beides gleichzeitig machen möchte. Stellvertretend für die anderen ärmeren Länder befürchtet die spanische Regierung, bei einer Ausweitung der EG gen Osteuropa den Geldhahn zugedreht zu bekommen. Mitterrand wiederum sieht in der Ausdehnung nach Osten einen Machtverlust der „Grande Nation“, weil sich die politischen Gewichte Richtung Deutschland verschieben würden.

Auf der anderen Seite verspricht sich der britische Premier Major von einer Ausweitung auf 18 oder gar 35 Mitglieder ein Ende des politischen Integrationskurses der EG. Und der deutschen Außenpolitik ist daran gelegen, die jungen Demokratien Osteuropas durch zügige Aufnahme politisch und wirtschaftlich zu stabilisieren.

Statistische Rückendeckung erhält sie dabei vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung: „Die ärmeren EG-Länder erhalten aus Brüsseler Kassen je Einwohner 15mal so viel unentgeltliche Hilfe wie die mittel- und osteuropäischen Länder, und diese wiederum 8mal so viel wie die Nachfolgestaaten der UdSSR.“ Messe man dagegen den Hilfsbedarf am relativen Entwicklungsstand, so müßten mit Ausnahme der CSFR die mittel- und osteuropäischen Länder mehr bekommen als die ärmeren EG- Länder. Zudem sei das reale Bruttosozialprodukt in Mittel- und Osteuropa 1990 und 1991 zum Teil drastisch gesunken, während es in Spanien, Irland und Portugal deutlich wuchs und in Griechenland zumindest konstant blieb.

Hier müsse sich die Gemeinschaft also sehr viel stärker engagieren, so das Fazit der Studie. Denn die Einbindung Mittel- und Osteuropas in den europäischen Binnenmarkt bedeute für die Mitgliedsstaaten ein erhebliches Gewinnpotential. Daß dies, wie oben beschrieben, für einige mehr als für andere zutrifft, lassen die deutschen Wirtschaftsforscher freilich unerwähnt.