Zwischen Intifada und Friedensgesprächen

Während Palästinenser und Israelis in Washington verhandeln, erläßt die Intifada-Führung neue Direktiven/ Mehr als vier Jahre nach Beginn wird der Aufstand in den besetzten Gebieten von der Untergrundführung entscheidend abgeschwächt  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

In einem dieser Tage in den besetzten Gebieten verbreiteten Flugblatt werden Aktionsformen der Intifada, des Aufstandes der Palästinenser, erheblich abgemildert. In dem mit „Nationale Führung des Aufstandes“ unterzeichneten Papier werden Geschäftsstreiks und der Boykott israelischer Waren weitgehend gelockert. Die neuen Direktiven der Intifada- Führung reduzieren die Zahl ganztägiger Generalstreiks auf zwei pro Monat und erlauben die Öffnung von Geschäften in den besetzten Gebieten vom Morgen bis drei Uhr nachmittags. Um, wie es heißt, „das arabische Jerusalem neu zu beleben“, dürfen Geschäfte in Ostteil der Stadt sogar bis 17 Uhr geöffnet bleiben. Die Maßnahme wird als Reaktion auf die zunehmende Expansion der Israelis im seit 1967 besetzten Ostjerusalem bezeichnet.

Palästinensische Händler in Ostjerusalem nennen die Lockerungen einen „Sieg des Geschäftssektors“. Vor allem Geschäftsleute hatten in den letzten Monaten geklagt, von den von der Intifada-Führung verordneten Maßnahmen am härtesten betroffen zu sein. Erschwerend zu den durch Streiks verursachten Einkommensverlusten kamen für sie die von den Israelis auferlegten hohen Steuern hinzu, die sie trotz Streiks bezahlen mußten.

Die neuen Direktiven sind nicht das einzige Zeichen für eine Veränderung der Intifada-Strategie. In den letzten Wochen hat die Zahl der Massendemonstrationen merklich nachgelassen. Bei Zusammenstößen zwischen Palästinensern und israelischen Soldaten ist dagegen eine zunehmende Militarisierung der Palästinenser zu beobachten. Vermehrt werden Molotowcocktails und vereinzelt auch Schußwaffen oder Sprengsätze eingesetzt. Die israelischen Besatzer ihrerseits gehen verstärkt mit Sondereinheiten gegen Palästinenser vor. Die Spezialtrupps eröffnen das Feuer auch auf unbewaffnete Intifada-Aktivisten. Offiziel machen sie Jagd auf von israelischen Geheimdiensten gesuchte Palästinenser, bei deren „Entdeckung“ sie häufig sofort von der Schußwaffe Gebrauch machen. Palästinenser beschreiben Einsätze der oft als Araber verkleideten Soldaten, die gezielten Hinrichtungen gleichkommen. Israelische Zeitungen berichteten, daß allein in den letzten zwei Monaten 28 „gesuchte“ Palästinenser in solchen „von der Armee organisierten Aktionen“ erschossen worden seien.

Umfangreiches Netz von Spitzeln

Ursprüngliches Ziel der Intifada war die Abkoppelung der besetzten Gebiete vom israelischen Kernland. Die palästinensische Bevölkerung sollte die Zusammenarbeit mit den Besatzungsbehörden völlig einstellen. Doch in mehr als vier Jahren des Aufstandes konnte dieses Ziel nur teilweise realisiert werden. Den Besatzern gelang es in den letzten Monaten, die Abhängigkeit der Bevölkerung vom israelischen Machtapparat erneut zu verstärken. Ungeachtet der fast täglichen Fememorde an Kollaborateuren, gelang es israelischen Geheimdiensten offenbar, ein umfangreiches Netz von Spitzeln unter den Palästinensern aufzubauen.

Da die israelische „Politik der eisernen Faust“ in den besetzten Gebieten auch nach Beginn der Nahost- Friedensverhandlungen nicht gelockert wurde, läßt sich das Abflauen des Aufstandes nicht als Teil eines Aufeinanderzugehens erklären. Zu den Gründen für die Reduzierung der Intifada-Aktivitäten zählen vor allem die traumatischen Folgen des Golfkrieges sowie die katastrophale Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation in der Westbank und im Gazastreifen. Als Folge der neuen Einwanderungswelle von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion verloren etliche palästinensische Pendler aus den besetzten Gebieten ihre Jobs im israelischen Kernland.

Auch die Gespräche zwischen lokalen palästinensischen Führern und US-Außenminister James Baker im Vorfeld der Nahost-Friedensgespräche und die Veränderung der Strategie der PLO hatten Einfluß auf die Intifada-Führung. Interne Differenzen und Erschöpfung nach über vier Jahren Aufstand sowie die Schwierigkeit, gleichzeitig zu verhandeln und den Aufstand weiterzuführen, dämpften den Aufstand. Zur Resignation trug auch das Wechselbad aus Euphorie und Frustration in den Tagen nach der Eröffnungskonferenz in Madrid bei. Einem kurzen Intermezzo von mit Ölzweigen „bewaffneten“, demonstrierenden Kindern folgte bald die Ernüchterung. Die israelische Regierung zeigte sich in den Gesprächen zu keinerlei Konzessionen bereit und steigerte noch das Tempo bei der Errichtung von Siedlungen.

Minderung der Belastung für die Bevölkerung

Doch auch wenn die Intifada in ihrer ursprünglichen Form kaum noch zutage tritt, wäre es falsch anzunehmen, der Widerstand gegen Besatzung, Landnahme und Siedlungsbau sei tot. „Die Intifada ist heute nicht dasselbe, was sie im ersten Stadium war. Aber Intifada bedeutet nicht, daß es überall und täglich Aktionen geben muß“, erklärt Sami Kilani aus Nablus in der Westbank. Der Physiklehrer und Dichter gehört zu den „rotierenden“ Mitgliedern der palästinensischen Delegationen bei den Nahost-Friedensgesprächen. „Die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Errungenschaften der Intifada sind weiterhin vorhanden, auch wenn die Intifada-Führung die Belastungen für die Bevölkerung mindern will“, erläutert er das Flugblatt. Die Frage sei nun, „wie das tägliche Leben unter solchen Bedingungen weitergehen kann. Wir brauchen einen langen Atem, denn die Unterdrückung lastet weiter schwer auf uns, und die Lebensumstände sind oft unerträglich.“ Zudem gebe es „strukturelle Schwierigkeiten“ innerhalb und zwischen den Palästinenserführungen inner- und außerhalb der besetzten Gebiete. Differenzen zwischen verschiedenen Gruppen mache die Aufgabe der vereinten Intifada-Führung nicht leichter. „Die Palästinenser warten weiter auf Resultate bei den Verhandlungen mit den Israelis. Wir sind der Ansicht, daß unsere Führung genau definieren muß, was sie von den Verhandlungen erwartet und wo die Aufgaben des Aufstandes liegen. Die Palästinenser müssen sich selbst gegenüber ehrlich sein und einen Ausgleich zwischen Verhandlungen und nationalem Befreiungskampf finden.“

Erstarken der islamistischen Hamas

Eines der Probleme der Intifada- Führung ist die zunehmende Stärkung der islamistischen Hamas-Bewegung auf Kosten der PLO. Bei Wahlen zu den Leitungen der Handelskammer in Ramallah und des Angestelltenverbandes des Al-Mukassad-Hospitals in Ostjerusalem erhielten die Islamisten jüngst jeweils die absolute Mehrheit. Die israelischen Behörden sind bemüht, Konflikte unter den Palästinensern wie die Rivalitäten zwischen der nationalistischen PLO und der islamistischen Hamas zu stärken. Die Besatzungsmacht versucht vor allem den Einfluß der PLO zu reduzieren. Verschiedene israelische Kommentatoren verweisen auf eine merkwürdige Art von Koalition zwischen israelischen Behörden und islamistischen Gruppen gegen die PLO als gemeinsamen Feind. Der 'Ha'aretz‘-Kolumnist Dani Rubinstein stellt gar die von Israel vorgeschlagenen Kommunalwahlen in den besetzten Gebieten in diesen Zusammenhang. Die PLO fordert allgemeine Wahlen und lehnt den israelischen Vorschlag als Ablenkungsmanöver von dieser Forderung ab. Die Abkehr vieler Palästinenser von der PLO und der nationalen Führung und erstarkende Sympathien für die islamistischen Gruppen resultieren zu einem Gutteil aus dem wachsenden Frust über fehlende Resultate der Friedensgespräche. Unter den Alltagsbedingungen in den besetzten Gebieten fällt es den meisten Palästinensern schwer, sich vorzustellen, daß irgendwo ein Friedensprozeß im Gang sein soll.