Übergangsrat in Kabul eingetroffen

■ Als erste Amtshandlung verkündete der Chef des von Mudschaheddin-Gruppen gebildeten Übergangsrates eine Generalamnestie für die Mitglieder der kommunistischen Ex-Regierung

Kabul (afp/ap/taz) — An Waffen und Munition mangelt es in Kabul schließlich nicht: „Mit Freudensalven“, so berichteten Augenzeugen in der afghanischen Hauptstadt, wurde gestern der Chef des aus Pakistan eingetroffenen Übergangsrates empfangen. Nach seiner Ankunft übernahm Sibghatullah Modschaddidi offiziell die Regierungsgewalt und verkündete als erste Amtshandlung eine Generalamnestie für die Mitglieder der Regierung des gestürzten Ex-Präsidenten Nadschibullah.

Der Übergangsrat soll für zwei Monate in Afghanistan die Macht übernehmen und dann einer Übergangsregierung weichen. Begleitet wurde Modschaddidi nach Angaben seines Sohnes Nadschibullah von mindestens der Hälfte der Mitglieder des 51köpfigen Übergangsrats.

Der frühere afghanische Außenminister Abdul Wakil nahm den aus Peshawar kommenden Wagenkonvoi bereits 20 Kilometer vor der Stadt in Empfang. Im Gästehaus der afghanischen Regierung sollte der Rat von General Nurul Hak Ulomi begrüßt werden. Ulomi vertritt die Interessen der Armeespitze gegenüber den Kabul kontrollierenden Mudschaheddin-Gruppen.

In Kabul waren am Morgen nur noch vereinzelte Schußwechsel zu hören. In der Nacht auf Dienstag war es den Kämpfern der von dem Dschamiat-i-Islami-Führer Achmed Schah Massud geschmiedeten Allianz nach eigenen Angaben gelungen, die Hesb-i-Islami seines Rivalen Gulbuddin Hekmatyar aus dem Zentrum sowie von ihren Stellungen auf den Hügeln im Süden der Stadt zu vertreiben. Zu anderen Mudschaheddin war die Anweisung zur Einstellung der Kämpfe jedoch am Dienstag zunächst nicht durchgedrungen. Der Kommandant einer Panzereinheit der Massud-Allianz, Mohammad Daud, sagte, er werde kämpfen, bis die Hesb-i-Islami Gulbuddin Hekmatyars endgültig aus der Hauptstadt vertrieben sei.

Radio Kabul forderte die Bevölkerung am Dienstag morgen in halbstündigen Abständen dazu auf, wieder zur Arbeit zu gehen. Die Menschen hätten nichts mehr zu befürchten, da die verfeindeten Mudschaheddin-Organisationen die Waffen niedergelegt hätten, hieß es in dem Bericht. Im Laufe des Vormittags begannen die Geschäfte wieder zu öffnen. Hausbewohner und Ladenbesitzer machten sich an die Aufräumarbeiten. Die Telefonverbindungen blieben allerdings zunächst noch unterbrochen.

Die Reaktionen der Kabuler Bevölkerung auf die Einstellung der Kämpfe und die Ankunft des Übergangsrates waren gemischt. Ein Mann sagte skeptisch, das Schießen könne jeden Augenblick wieder losgehen. Andere setzten große Hoffnungen in die Regierungsübernahme durch den Übergangsrat.

Dessen Chef, der Paschtune Modschaddidi, ist Führer der kleineren Mudschaheddin-Gruppe Dschabha Nidschat-i-Milli. Der in Kairo ausgebildete Professor für islamische Philosophie und Recht stammt aus einer angesehenen Familie, die Opfer der Verfolgung religiöser Würdenträger durch das kommunistische Regime wurde. Zwischen 1978 und 1979 wurden 75 seiner Angehörigen festgenommen und hingerichtet, heißt es bei 'ap‘. Ihm selbst gelang die Flucht nach Pakistan.

Modschaddidis Afghanische Nationale Befreiungsfront galt als militärisch unbedeutende Gruppe des Widerstands gegen Kommunismus und sowjetische Besetzung. 1989 war er nach dem Abzug sowjetischer Truppen zum Chef der Exilregierung ernannt worden. Laut Beobachtern auch deswegen, weil er aus der Sicht der anderen Kommandanten ohne starke militärische Kräfte leicht zu beeinflussen war.

„Im Namen Gottes, ich bin glücklich!“ sagte er gestern in seinem ersten Fernsehinterview. Und dankte dem Rebellenführer Achmed Schah Masud und den mit ihm verbündeten Gruppierungen, die seine Heimkehr 14 Jahre nach Ausbruch des Bürgerkrieges ermöglicht hätten. Von dem mit Masud rivalisierenden Hekmatyar forderte er „eine Entschuldigung“ für die Kämpfe in Kabul. Wenn Hekmatyar bereue, so zitiert 'ap‘ Modschaddidi, könne er in einer zukünftigen Übergangsregierung das für ihn vorgesehene Amt des Ministerpräsidenten ausüben. li