Neues Selbstbewußtsein türkischer Frauen

Ein Symposium in Karlsruhe brachte zum ersten Mal eine öffentliche Diskussion zwischen Feministinnen aus der Türkei und türkischen Feministinnen, die als Migrantinnen in der BRD leben/ Osmanische Frauenrechtlerinnen wiederentdeckt  ■ Aus Karlsruhe Karin Flothmann

Da stand er vor versammeltem Publikum und beendete seine einleitenden Sätze mit den Worten: „Ich bin stolz darauf, ein feministischer Mann zu sein.“ Der da sprach, war ein türkischer Student der Universität Karlsruhe und gleichzeitig Mitglied der Arbeitsgruppe Frauenforschung des Türkischen Studentenvereins. Diese Arbeitsgruppe, in der insgesamt drei Frauen und zwei Männer mitwirken, war am vergangenen Wochenende in Karlsruhe die Veranstalterin des Symposiums „Die türkische Frauenbewegung“. Mit ihrer Antwort ließ Sirin Tekeli, Professorin aus Istanbul, nicht lange warten: „Es tut mir leid, feministische Männer kann es gar nicht geben. Sie können auch als türkischer Mann mit dem Feminismus höchstens sympathisieren.“

Ob allerdings türkische oder deutsche Männer en gros mit Feministinnen sympathisieren, das ließ der weitere Verlauf dieses für die BRD bisher einmaligen Symposiums bezweifeln. In den drei Tagen des Workshops, der von gut hundert TeilnehmerInnen besucht wurde, verschafften Wissenschaftlerinnen aus der Türkei und türkische Migrantinnen aus der BRD einen Überblick über die Vielfalt von Sichtweisen und Ansätzen der türkischen Frauenbewegung. Vor allem die Entstehung eines neuen Selbstbewußtseins türkischer Frauen stand im Mittelpunkt aller Diskussionen, aber auch die Schwierigkeiten junger türkischer Frauen, die in Deutschland in der Migration nach wie vor in patriarchalen Verhältnissen leben. Gerade für diese jungen Frauen, die in zweiter oder dritter Generation in der BRD leben und hier aufgewachsen sind, mag es besonders wichtig gewesen sein, mehr von der Entwicklung der Frauenbewegung in der Türkei zu erfahren.

Denn die heutige türkische Frauenbewegung, von der in der BRD bisher so gut wie nichts bekannt war, ist keineswegs ein Abklatsch westlichen Feminismus. Schon im Osmanischen Reich formulierten Frauen, parallel zur europäischen Suffragettenbewegung, ihre Forderungen. Daß sogar in der Türkei lange Zeit fast niemand mehr von ihnen wußte, liegt an der Schriftreform des Jahres 1928. Seit dieser Zeit wird das Türkische mit lateinischen statt wie früher mit arabischen Schriftzeichen geschrieben. Nachfolgende Generationen von Frauen haben erst in den letzten Jahren begonnen zu entschlüsseln, was ihre Vorfahrinnen ihnen als feministisches Erbe hinterlassen haben.

Nach Jahren des „Staatsfeminismus“ à la Atatürk, der türkischen Frauen unter anderem 1934 immerhin das Wahlrecht bescherte, vollziehen Frauen seit Beginn der 80er Jahre den Bruch mit diesem Kemalismus und den sozialistischen Ideologien der 70er Jahre und formulieren eigene feministische Inhalte. Wie in den westlichen Staaten hat die heutige feministische Bewegung der Türkei ihre Wurzeln in der Studentenbewegung der 60er Jahre. Demonstrationen gegen sexuelle Gewalt und sexuelle Belästigungen gehören zu ihren Schwerpunkten. So gingen 1982, auf der ersten nach dem Militärputsch offiziell genehmigten Demonstration, 2.500 Frauen und 500 Männer in Istanbul auf die Straße, um gegen die Gewalt in türkischen Familien zu protestieren. Wie im Westen scheint die türkische Frauenbewegung nach anfänglich begeistertem Aktionismus derzeit zu stagnieren. Zögerlich beginnt die Phase der Institutionalisierung. So verwies Sirin Tekeli stolz auf die Frauenbibliothek in Istanbul, in der seit 1990 Workshops, Informationsveranstaltungen und Diskussionsveranstaltungen Raum finden.

Die Situation türkischer Migrantinnen in der BRD wurde vor allem aus dem Blickwinkel der zweiten und dritten Generation hier lebender Türkinnen betrachtet. Vor allem junge Türkinnen, die in der BRD aufgewachsen sind, wehrten sich energisch gegen ihre Reduzierung auf die nationale Zugehörigkeit. Das Leben zwischen zwei Welten, nämlich zwischen türkischem Familienalltag und dem bundesdeutschen Alltag außerhalb der elterlichen Wohnung, wurde von vielen als schwierig dargestellt. „Ich lebe im Zwiespalt zwischen den Erwartungen der ersten Generation türkischer Migranten und denen der deutschen Gesellschaft“, faßte Alev Acisu, türkische Studentin aus Heidelberg, ihre Erfahrungen zusammen. Und Serap Berrakkarasu, eine junge Filmemacherin aus Lübeck, kommentierte diese „Zerrissenheit der zweiten Generation“ als ein von der Gesellschaft aufgezwungenes Problem. Sie plädierte, wie alle Teilnehmerinnen der abschließenden Podiumsdiskussion, dafür, viel stärker das neue Selbstbewußtsein türkischer Frauen herauszustellen. Hatice Hagar, die einzige Podiumsteilnehmerin mit Kopftuch, stimmte ihr da voll zu. „Ich erlebe die Intoleranz der Deutschen als ein Problem, das mir von außen aufgezwungen wird. Als Kopftuchträgerin werde ich ganz schnell in die Ecke ,Kameltreiber‘ gesteckt.“ Die junge Sozialwissenschaftlerin arbeitet in Mannheim in einer Beratungsstelle für türkische Mädchen. Ihr Auftritt auf dem Podium veranlaßte denn auch prompt eine Karlsruher Bürgerin zu der Bemerkung, man vermute ja gar nicht, was unter diesen Kopftüchern für intelligente Mädel steckten.

Doch gerade um die leidige Kopftuchdebatte ging es in Karlsruhe eben nicht. Bezeichnenderweise kam die einzige provokative Nachfrage hierzu von einem türkischen Altlinken. Türkinnen, die aus Glaubensgründen die Kopfbedeckung wählen, wollen ebenso wie andere ihre Chancen in Bildung und Beruf wahrnehmen. Und vor allem den jungen Türkinnen in der BRD gelingt dies, auch wenn sie dabei massiv mit dem Rassismus der Deutschen und mit den traditionellen Anforderungen ihrer Eltern zu kämpfen haben.

Zum Abschluß des Symposiums monierte Serap Berrakkarasu, die auch im autonomen Frauenhaus Lübecks mitarbeitet, die allzu große theoretische Einmütigkeit aller. Nicht, daß ihr die Ergebnisse des Symposiums nicht wichtig wären, doch für die Praxis brächten sie ihr überhaupt nichts. „Im Frauenhaus bin ich erst kürzlich von drei Mädchen gefragt worden, was sie tun könnten. Alle drei sollten von ihren Eltern in die Türkei zurückgeschickt werden, um dort zwangsweise zu heiraten. Soll ich denen etwa sagen, es gibt in der Türkei eine ganz tolle Frauenbewegung?“ Die Praxis von Beratung und Ausländergesetzgebung wurde zwar ausgespart, doch fand zum ersten Mal ein Austausch zwischen türkischen Feministinnen aus der BRD und der Türkei statt — eine Tatsache, die Ayla Neusel, Professorin der Gesamthochschule Kassel, dem neu gewachsenen Selbstbewußtsein türkischer Frauen zuschrieb.