Gestreikt wird mit vornehmer Gelassenheit

■ Im Westhafen regen sich nur die Privatunternehmer über den Streik auf, dabei sind sie von den Folgen kaum betroffen/ Die 200 Hafenarbeiter sind kooperationsbereit und wollen die liegengebliebene Arbeit ganz schnell wieder aufholen

Moabit. An der Ecke Beusselbrücke/ Westhafenstraße stehen zwei Streikposten an der Schranke und lassen alle Fahrzeuge durch. Sie tragen diese etwas lächerlichen orangenen Plastiksäcke, die oben und unten abgeschnitten und mit der Forderung bedruckt sind: »Wir streiken für die Durchsetzung unserer berechtigten Forderungen«. Die schnörkellose Schlichtheit dieser Formulierung verleiht den Plastiksackträgern eine unvermutete Würde.

Auf dem Gelände des Westhafens arbeiten nicht nur die öffentlich Bediensteten der BEHALA, der Berliner Hafen- und Lagerbetriebe, hier haben sich auch 25 bis 30 Privatunternehmen eingemietet. Speditionen, ein Schrotthandel und ein Zementvertrieb. »Fahrzeuge der ansässigen Privatunternehmen lassen wir natürlich durch«, sagt ein Streikposten und winkt einen LKW vorbei, dessen Fahrer sich bereits in Erwartung eines Wortgefechts grimmig aus dem Fenster gebeugt hat.

Etwa 250 Menschen arbeiten im Westhafen für die BEHALA, 200 haben sich an dem Streik am Dienstag beteiligt, 15 arbeiteten im Notdienst und etwa 15 wollten nicht streiken. Die wurden ebenfalls durchgelassen. »Wir versuchen natürlich, alle vom Streik zu überzeugen, aber wenn einer nicht will, legen wir ihm auch keine Handschellen an«, sagt der Streikposten.

Es ist sonderbar, aber genau die dickfellige Langsamkeit, die einen im Umgang mit Postbeamten oder BVGlern manchmal zur Weißglut treiben kann, korrespondiert hier äußerst glücklich mit der oben erwähnten Forderung und verwandelt die berüchtigte Lahmarschigkeit des öffentlichen Dienstes in eine Art würdevolle Gelassenheit, die besonders auffällt, wenn man sich mit den Privaten auf dem Gelände unterhält.

»Die sollen ruhig vier Wochen streiken und dann alle entlassen werden«, knurrt ein Speditionsunternehmer. Befragt zu seiner Meinung über den Streik, macht ein Arbeiter auf dem Schrottplatz ein äußerst unhöfliches Geräusch. Der Streik betrifft zwar indirekt auch die Privaten, da die BEHALAr keine Schiffe be- und entladen, aber er dauert schließlich nur einen Tag. Deshalb wirken die Gehässigkeiten der Privaten nur peinlich.

An der Schranke zurückgewiesen wird nur der Privatverkehr, der die Westhafenstraße als Schleichweg zur Putlitzbrücke benutzt. »Die reagieren teilweise ziemlich sauer, aber so leicht sind wir nicht zu beleidigen. Wenn einer mal ‘Idiot‚ sagt, sind wir nicht gleich eingeschnappt«, sagt ein Gewerkschafter im Büro der Streikleitung und schenkt sich eine Tasse Kaffee ein.

Etwas gekränkt ist er allerdings von der uninspirierten Äußerung Georg Gafrons, Chefredakteur bei Hundert,6, die Streikenden seien »organisierte Egoisten«. Dabei seien die eintägigen Warnstreiks doch äußerst bescheidene Mittel im Arbeitskampf. Die anderen Gewerkschafter im Raum nicken und berichten zum Beweis ihres Pflichtbewußtseins von einer Sekretärin der BEHALA, die am Tag des BVG-Streiks in ihren »Stöckelschuhen vom Rosenthaler Platz bis nach Moabit« gelaufen sei.

Wenn sie am nächsten Tag wieder arbeiten, werden sie sogar die Streikstunden aufarbeiten. Wem diese Art des Arbeitskampfes etwas lau vorkommt, der sei daran erinnert, daß die Gewerkschafter 1974 nur drei Tage streikten, um elf Prozent mehr Lohn durchzusetzen. Das kann einen schon gelassen machen. Anja Seeliger