Ein Fisch zurück im Wasser

■ Der peruanische Dichter Mario Vargas Llosa las in der Akademie der Künste

Die Präsentation des berühmten Gastes beginnt, natürlich, mit der Politik: »Der Staatsstreich«, wird Vargas Llosa eingangs selbst zitiert, »ist wie Tabak und Kokain ein typisch lateinamerikanisches Produkt — nur um einiges tödlicher.« Aus dem fernen Berlin hatte Perus großer Romancier den »Selbstputsch« von Präsident Fujimori mit scharfer Zunge als »Rückkehr zur Barbarei« gegeißelt. Daraufhin scheute der peruanische Schriftstellerverband keine internationale Lächerlichkeit und schloß sein prominentestes Mitglied wegen »unpatriotischer« Haltung aus. So sitzt Vargas Llosa, der vor zwei Jahren beinahe peruanischer Präsident geworden wäre, nun als verfolgter Intellektueller mit quasi offiziellem Siegel auf der schlichten Bühne der Westberliner Akademie der Künste, um aus seinem Roman Der Geschichtenerzähler zu lesen.

Es ist dies der letzte große Roman, den Vargas Llosa schrieb, bevor er sich im Sommer 1987 in die Niederungen der peruanischen Politik stürzte. Vom Wortführer des Protests gegen die Verstaatlichung der Banken war er an allen Parteikarriereleitern vorbei auf die Präsidentschaftskandidatur der peruanischen Rechten gefallen — und in der Stichwahl dann knapp unterlegen. Vargas Llosa selbst hatte sich danach politische Abstinenz verordnet; in der Politik sei er, der Schriftsteller, »wie ein Fisch auf dem Trockenen«, überschrieb er seine rückblickende Bilanz. Sein gegenwärtiger Aufenthalt in Berlin als »Fellow« des Wissenschaftskolleg soll ihm nun wieder die Ruhe des Künstlers geben. Zurück zur Literatur — das war die Botschaft der Lesung am Dienstag abend. Vargas Llosa, den der kalte Staatsstreich seines einstigen Konkurrenten aus dem Dahlemer Domizil kurzzeitig zurück in die Arena der peruanischen Politik zog, schwimmt wieder im vertrauten Wasser der internationalen literarischen Bühnen.

Mario Vargas Llosa ist hochgewachsen, hellhäutig. Seine glatten, silbergrauen Haare, die geschliffene Sprache, sein aufrechter Gang, der makellose schwarze Anzug, das strenge Gesicht — all dies gibt ihm eine durch und durch aristokratische Ausstrahlung. In seinem jüngsten Roman nun hat sich der Geschichtenerzähler Llosa einen denkwürdigen Kollegen geschaffen: den irgendwo zwischen Heiler und Priester angesiedelten »Geschichtenerzähler« der Machiguengas, einem Indio-Stamm aus dem unwegsamen Amazonas- Gebiet Perus. Der Roman beschreibt den Übertritt des Erzählers in den »primitiven« Stamm; er wird zu einem Machiguenga, und später wird er zu dem »Geschichtenerzähler« der Machiguenga.

Kennengelernt hatte Vargas Llosa diesen Teil Perus auf einer kurzen Expedition seiner Universität, vor nunmehr 34 Jahren, wie er dem Publikum in der Akademie die Entstehung des Romans schildert. Er ließ sich von der »noch ungezähmten Welt« der indianischen Gemeinschaften, von den Schrumpfköpfen und der Zubereitung des Curare- Pfeilgifts faszinieren — in der Tasche hatte er jedoch bereits das ersehnte Stipendium für das Studium in Europa. Überhaupt Europa: Erst 27 Jahre später schrieb Vargas Llosa den Roman — als er in Florenz auf ein Foto stieß, das eben einen dieser Geschichtenerzähler im peruanischen Urwald zeigte.

»Die Barbarei«, hatte Vargas Llosa einmal gesagt, »welch großartiges Erzählmaterial!« Er ist ein großartiger Erzähler, und ein fesselnder Leser, und dennoch bleibt beim Zuhören ein irritierender Beigeschmack: Die Machiguengas, ihre Gemeinschaften, ihre Kosmovisionen, ihre Riten, sind dem Weltbürger Vargas Llosa literarischer Rohstoff. Den »indigenistischen« Schriftstellern hatte er ihren Folklorismus und die mangelnde Universalität ihrer Romane vorgeworfen. Vargas Llosa nun wird die Sprache der Indios zum Experimentierfeld für seine universelle Sprache; ihre magische Vorstellungswelt wird zur Frischzellenkur seiner Fantasie, wo ihn Florenz, Macchiavelli und die italienische Renaissance nicht mehr fesseln; und ihr Geschichtenerzähler wird ihm zum Spiegel des modernen Schriftstellers, sprich: seiner selbst. Es geht Vargas Llosa um die Bereicherung der Weltliteratur; und es geht ihm, so scheint es, etwas zu wenig um die wirkliche Welt der Menschen, aus der er seinen Roman schöpft. Bei aller Erzählkunst des Autors bleibt an dem Geschichtenerzähler ein Geruch von geistigem Diebstahl haften.

Nein, wie die Machiguenga auf das Buch reagiert haben, könne er nicht sagen, antwortet Vargas Llosa nach der Lesung auf eine Frage: »Ich glaube nicht, daß sie es lesen können, denn es gibt keine Übersetzung.« Natürlich weiß Vargas Llosa, daß die Amazonas-Indios keine Schriftkultur haben, sondern eine orale; der moderne Geschichtenerzähler müßte ihnen seine Geschichte wohl erzählen. Aber der liest nicht im Urwald, sondern in der Akademie, vor einem Publikum, das des Lesens mächtig ist und für das es Vargas Llosa in guten deutschen Übersetzungen gibt. Bert Hoffmann