DURCHS DRÖHNLAND
: Wenn morgens der Radiowecker überraschend ertönt

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der nächsten Woche

Es gibt Menschen, die lernt man kennen, teilt eine Zeit den Weg miteinander, um sich von ihnen im Streit zu trennen und sie nie wiedersehen zu wollen. Das kann auch mit Musik passieren. Das ist einigen mit dem berüchtigten Electric Light Orchestra passiert. Sie stellten den gefährlichsten Versuch der Siebziger dar, der Popmusik eine Ernsthaftigkeit zu verpassen, die sie nicht verdient hat. Danach wanderten die Geigen erst mal zu Recht auf den Müll, bis sie ABC für ihr Lexicon of Love wieder ausgruben. Trotzdem ist dies die überflüssigste Reunion, in dieser an Reunionen nicht armen Zeit. Dabei haben wir und die Reunionisten noch Glück, weil Jeff Lynne (der Mann mit der zweitunmöglichsten Frisur im Rockbiz nach dem Puhdys-Bassisten) zu beschäftigt ist, um mitzumachen. Ansonsten sind aber alle dabei, alle Geigen, Celli, Bratschen, Kontrabässe...

Am 1.5. um 20 Uhr im Tempodrom, In den Zelten, Tiergarten

Um die Rentnerecke abzuschließen: Mountain waren Ende der Sechziger eines jener Rockavantgarde- Trios in der Nachfolge von Cream. Vor allem durch die eigentlich viel zu dicken, aber schnellen Finger des Gitarristen Leslie West gelangten sie zu einiger Berühmtheit. Außergewöhnlich an ihnen war vor allem ihr übler übersteuerter Hardrock-Sound, der für viele Trios der Endachtziger wie Hüsker Dü oder Dinosaur Jr. Vorbild gewesen sein könnte. Vor allem Felix Pappalardi (vorher Produzent von Cream) prägte mit seinem oftmals die Rhythmusgitarre ersetzenden Baßspiel heutige Bassisten. Nach der Auflösung 1972 spielte West unter anderen mit Jack Bruce zusammen. Eine Reunion von Mountain kam 1983 nicht zustande, weil Pappalardi unpassenderweise zu diesem Zeitpunkt von seiner Frau erschossen wurde. Leslie West macht nun mit dem Original- Schlagzeuger und einem anderen Basser weiter, aber ist halt auch recht gealtert. Ähnliches gilt für Blue Cheer, Bluesrock-Legenden aus den Sechzigern, die inzwischen ihre Platten auf einem obskuren Regensburger Label herausbringen. Den Kalk konnte selbst Produzent Jack Endino nur bedingt entfernen. Dazu dann noch die Southern-Rocker Outlaws, die offensichtlicherweise auch schon einige Jährchen auf dem Buckel haben.

Am 2.5. um 20 Uhr in Huxley's Neuer Welt, Hasenheide 108-114, Kreuzberg

Wer ein genügend starkes Nervenkostüm besitzt, kann sich an zwei Tagen hintereinander im Loft die Speerspitze britischen Lamentos antun. Da wären zuerst einmal Lush aus London, eigentlich ein Duo aus Emma Sanderson und Miki Berenyi, die ihre Gitarren möglichst einfallslos anschlagen und darüber einen angeödeten Harmoniegesang legen. Unterstützt werden die beiden Frauen von zwei Männern, und das ist dann schon das Interessanteste an ihnen. Lush sind wie Gummibärchen: Irgendwann wird einem unweigerlich schlecht davon. Wer morgens von Lush im Radiowecker überrascht wird, schläft gleich wieder ein. Noch dröger geben sich die Pale Saints, vier bläßliche Jünglinge aus Leeds, die bei ihren Gitarrentupfereien manchmal ganz vergessen, daß ein Rhythmus auch mal ganz nett ist. Wer morgens im Radiowecker von den Pale Saints überrascht wird, steht nie wieder auf. Man stelle sich vor, an denselben Tagen würden zusätzlich noch Ride und Slowdive spielen, Berlin würde nicht mehr aufwachen. Geradezu herzattackenverdächtig sind im Gegensatz dazu die aus Liverpool kommende Vorgruppe der Pale Saints: The Boo Radleys. Wenn die auf die Gitarren hauhen, kommt auch was raus. Und anstatt sich in herzerweichendem Genöle zu verlieren, spielen die mal halbakustisch, mal dröhnend gute Riffs, die man sich anhören kann, ohne an alte Socken denken zu müssen. Manchmal sind sie sogar wirklich atonal und dabei nicht so undifferenziert wie My Bloody Valentine, sondern eher rockend wie Dinosaur Jr.

Lush am 3.5. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg

Pale Saints und Boo Radleys am 4.5. um 20.30 Uhr im Loft

Es gibt sie halt doch noch, nur suchen sie sich immer obskurere Orte, wo sie das Licht der Welt erblicken. Mass kommen aus Oxford, und das ist nun wahrlich keine Stadt, die für eine lebendige Punkszene Berühmtheit erlangte. Mass sind schnell und hart und melodiös, vielleicht nicht ganz so genial wie Bad Religion, die immer noch die Nummer eins im Haudraufunddurch-Metier sind. Keine Verschnaufpause, wenn der Song schneller geht, kann man noch einen nächsten spielen. Allerdings deuten sie manchmal an, daß sie auch langsamer können, nur dann wird ihr Spiel oft zu waberig. Gespannt kann man sein, was sie mit ihrem Major-Vetrag anstellen werden, den sie demnächst unterzeichnen. Alles hat seine zwei Seiten, so auch der Punk. Während Mass ernsthaft um die alten Ideale bemüht sind, führen Doctor and the Crippens eine Kabarett-Show auf, die nur noch einmal überhöht, was altgediente Punkrocker wie die Buzzcocks schon lange unfreiwillig vorführen. Sänger Nick schlüpft von Kostüm zu Kostüm, wartet mit dämlichen Kopfbedeckungen auf, und zum Repertoire der Band gehören hanebüchene Coverversionen von Punk-Klassikern wie Bodies der Sex Pistols.

Am 5.5. um 21 Uhr im Huxley's Jr.

Alte Helden kann man nur dann kritisieren, wenn sie zu Altherrenrockern mutiert sind. Jeffrey Lee Pierce ist einer der wenigen, von dem man erwarten darf, daß solches nie passieren wird. Nachdem er seine Alkoholkrankheit überstanden hatte und den Gun Club reanimierte, produziert er ein Alterswerk nach dem anderen, was zum einen daran liegt, daß die modernen Standards natürlich von anderen gesetzt werden, zum anderen, daß Pierce genug damit zu tun hat, seine eigene Vergangenheit zu verdauen und eben auch nicht mehr der Jüngste ist. Nichtsdestrotrotz bleiben Gun Club mit die wichtigsten Sachwalter des amerikanischen Musikerbes, weil sie zwar weiterhin vornehmlich den Blues, aber auch Country adaptieren, ohne ihn zu kopieren. Raus kommt immer wieder Gun Club. Das liegt vor allem an der immer noch außergewöhnlichen Stimme von Pierce, die wie keine zweite kurz vorm Überschlagen virtuos wackeln kann, und auch am Spiel des von Nick Cave's Bad Seeds zurückgekehrten Kid Congo Powers, der mit seiner sinistren Slide-Gitarre reihenweise Nackenhaare aufstellt. Eine der wichtigsten Bands der 80er, die immer noch nicht schlechter ist, wenn auch nicht mehr wichtig.

Am 6.5. um 20.30 Uhr im Loft

An der Waterkant ist es zu oft zu trübe. Den Girls Under Glass geht es oft schlecht. Dann nehmen sie ihre Rhythmus-Box, ihre Gitarren und ihre Synthies und programmieren und hauen so lange drauflos, bis es ihnen bessergeht. Damit das Zeug nicht so in der Ecke rumliegt, pressen sie es dann auf Platten. Während ihre ersten Veröffentlichungen noch reichlich unausgegoren waren (manchmal klangen sie gar wie Depeche Mode) und das erklärte Ziel, den Thron der Sisters of Mercy zu erklimmen, in immer weitere Ferne rückte, haben sie sich als Produzenten für ihr letztes Werk Positive Rodney Orpheus von Cassandra Complex als Produzenten engagiert, der sich dann so sehr austobte, daß Positive wie frühe Cassandra Complex klingt. Gleich mitgesungen hat er auch. Beim Konzert wird sich zeigen, was von den Schwarzkitteln überbleibt, wenn sie ohne Herrn Orpheus auf die Bühne müssen.

Am 7.5. um 22 Uhr im Knaack-Club, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg

Erinnerte mich irgendwie an Peter und der Wolf, aber das mag jeder anders sehen. Das Orchestra Obscur sind ein Schauspieler und ein Musiker, die mit wechselnden Kostümen und Instrumenten »eine Reise quer durch diesen Kontinent, mit kurzen Abstechern in eine bitter- süße Phantasiewelt« darstellen. Das Ganze ist — zumindest musikalisch — bei weitem nicht so prätentiös, wie es den Anschein hat. Die Musik ist Beschallung für Bilder, die sich jeder ausdenken mag, die einfach entspannend sein kann, ohne eigentliche Struktur, mehr ein Auf- und Abschwellen oder das bloße Insistieren auf einigen wenigen Tönen. Dabei gnädigerweise nicht so kopflastig und anstrengend wie viele andere moderne E-Musik.

Am 7.5. um 23 Uhr im SO 36, Oranienstraße 190, Kreuzberg

Die kleine Natalie kam auf den Trichter, daß es die moderne Studiotechnik möglich macht, daß sie mit ihrem schon ziemlich steifen Vater Nat ein Duett singt, ohne daß der noch mal die Lippen zu bewegen brauchte. Ein versierter Techniker verschaffte dem Töchterchen den Spitzenplatz in den Charts, jede Menge Grammies und noch viel mehr Kohle. Ist doch schön für Natalie Cole. Noch schöner wäre ja, wenn olle Nat King auf der Bühne erscheinen würde: Vielleicht als Skelett mit ohne nichts oder auch als Plastikpuppe, die bei der töchterlichen Umarmung »Ich liebe Leichenfledderei!« stöhnt.

Am 5.5. um 20 Uhr in der Philharmonie, Matthäikirchstraße 1, Schöneberg Thomas Winkler