■ 98. INTERNISTENKONGRESS IN WIESBADEN. THEMA: RAUCHEN
: Es ist nicht nur das Nikotin

Es ist nicht nur das Nikotin

Wiesbaden (dpa/taz) — Wollen Sie in den nächsten fünf Jahren über 24.000 Mark sparen? Wenn Sie ein sehr starker Raucher sind und 60 Zigaretten oder drei Schachteln pro Tag verqualmen, müssen Sie nur auf Ihre heißgeliebten Glimmstengel verzichten. Diese Rechnung präsentierten Experten auf dem 98. Internistenkongreß in Wiesbaden, an dem bis gestern rund 8.000 Mediziner teilnahmen. Doch weit mehr als das Portemonnaie wird beim Qualmen bekanntlich die Gesundheit geschröpft: „Allein in den alten Bundesländern haben wir pro Jahr 90.000 bis 140.000 Tabaktote“, sagt Prof. Klaus Opitz vom Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Münster.

„Schon jetzt führen die tabakassoziierten Krankheiten weltweit zum vorzeitigen Tod von jährlich drei Millionen Menschen“, betont Opitz. Im Jahre 2025 sollen es manchen Prognosen zufolge allerdings schon zehn Millionen sein. Als falsch bezeichnet es der Mediziner, nur das Nikotin zu verteufeln. „Der Zigarettenrauch ist eine sehr komplizierte Mischung. Bislang sind schon 3.800 Substanzen identifiziert worden.“ Dazu zählten zum Beispiel Stickoxide oder so nette Stoffe wie Arsen, Cadmium und Formaldehyd.

Das Nikotin sei hauptsächlich für die psychischen Effekte des Qualms verantwortlich. Dieser Stoff wird laut Opitz beim Inhalieren von Tabakrauch aus den Lungenbläschen in das Blut aufgenommen und gelangt innerhalb von wenigen Sekunden in das Gehirn, wo er seine Wirkung auch prompt entfaltet: anregend und leistungssteigernd, aber auch aggressionshemmend. „Nikotin kann abhängig machen“, warnt der Mediziner. Aber auch nikotinarme Zigaretten seien aufgrund der Vielzahl von Schadstoffen keineswegs harmlos.

„Als erstes Organ ist die Lunge betroffen“, erklärt Prof. Heinrich Matthys von der Universitätsklinik Freiburg. Raucher würden überdurchschnittlich oft an chronischer Bronchitis mit dem morgendlichen bösen Auswurf oder an Lungenkrebs leiden. „Als Arbeitgeber kommen Sie mit Nichtrauchern wesentlich besser über die Runden“, sagt der Lungenspezialist. Die Ausfallzeiten seien geringer und die ewigen Zigarettenpausen nicht notwendig. Matthys: „Ich bin nicht gegen die Raucher, aber gegen das Rauchen, denn ich habe zu viele daran sterben sehen.“

Die Mediziner präsentierten in Wiesbaden eine ganze Liste von Krankheiten, bei denen das Rauchen eine Rolle spielt. Dazu zählen auch Herzinfarkt und Raucherbein. Der Tabakkonsum ist nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu etwa 20 Prozent an der Entwicklung von Gefäßerkrankungen beteiligt. Frauen sind laut Prof. Hans-Georg Siedentopf (Universitäts-Frauenklinik Frankfurt) besonders gefährdet: „Bei ihnen wird durch Tabakkonsum der Hormonhaushalt gestört.“ Raucherinnen kommen nach diesen Angaben im Durchschnitt früher in die Wechseljahre.

Angesichts all dieser Risiken haben die Ärzte kein Verständnis dafür, daß nun auch immer mehr Frauen zum Glimmstengel greifen und zahlreiche Eltern ihre Kinder durch jahrelanges Passivrauchen gefährden. Auf dem Kongreß schlugen sie ein ganzes Bündel von Maßnahmen vor: Es reichte von rauchfreien Zonen in öffentlichen Gebäuden und Restaurants über ein totales Verbot der Zigarettenwerbung und einen möglichen Raucher-Risikozuschlag bei den Krankenkassenbeiträgen bis hin zum Einsatz von Nikotinpflastern zur etappenweise Entwöhnung der Raucher. Matthys: „Wer bereits raucht, hat wie jeder andere Suchtkranke das Recht auf eine optimale Therapie.“