Pausbacken auf Bestellung

■ „Freejack“ von Geoff Murphy

Der Niedergang eines Regisseurs. 1980 hatte Geoff Murphy mit seinem Erstling Mach's gut, Pork Pie Neuseeland auf die Kinolandkarte gerückt. Das Roadmovie um ein Aussteigertrio bestach durch sein Gespür für Komik. 1983 drehte er Quiet Earth — Das letzte Experiment, einen der radikalsten Postnuklearkatastrophen-Filme, der effektvoll die Reize der neuseeländischen Landschaft nutzte. Danach kam nicht mehr viel. Blaze of Glory, der zweite Teil von Young Guns, führte vor Augen, wie aus einem hoffnungsvollen Regietalent ein Action-Regisseur geworden war, der zwar mit verschiedenen Genres hantieren kann, aber vor allem hausbackenen Durchschnitt abliefert.

Mit Freejack kehrt Murphy zur Science-fiction zurück und hat nach Blaze of Glory das zweite Mal eine Starbesetzung zur Verfügung. Mick Jagger steht zum vierten Mal als Hauptdarsteller vor der Kamera, Emilio Estevez hat Murphy gleich von Blaze of Glory mitgebracht, und der frischgebackene Oscar-Preisträger Anthony Hopkins war sich nicht zu schade für eine Nebenrolle.

Was Murphy schon in Quiet Earth demonstrierte, nämlich jenseits der Special Effects eine realistische und beklemmende Zukunftsperspektive zu entwickeln, kommt auch hier am besten zur Geltung. Im Jahre 2009 sieht New York so verwahrlost aus, wie es die Bronx schon jetzt tut. Aus der Zweidrittel-Gesellschaft ist eine Einzehntel-Gesellschaft geworden, jedermann und jedefrau setzen ihr Recht mit der Waffe durch. Der Bruchteile von Sekunden vor seinem Tod 1991 in die Zukunft katapultierte Formel-1-Rennfahrer Estevez irrt durch Bandenkriege, Straßenschlachten, Slum-Riots und ausgedehnte Verfolgungsjagden mit einer Unzahl von Rädern, ohne irgendwas zu kapieren. Dem Zuschauer geht es ähnlich, denn die Story weist einige Ungereimtheiten auf. Immerhin soviel wird klar: Estevez' Pausbacken wurden aus der Vergangenheit geliefert, damit das Bewußtsein des Auftraggebers nach dessen Tod in ihn verpflanzt werden kann. Nur bei der Löschung des Original-Bewußtseins geht etwas schief, und Estevez torkelt fortan, mit wesentlich mehr Glück als Verstand gesegnet, verfolgt vom „Knochenjäger“ Jagger durch New York, trifft seinen ehemaligen Manager, seine damalige Freundin und und und...

Allerlei Grund, viele Autos zu Schrott zu fahren, die Tonspur mit ausführlichen Schußwechseln zu füllen und die Geduld des Zuschauers über Gebühr zu beanspruchen. Dafür steht vor allem der Name des Produzenten und Drehbuchautors Ronald Shusett, in gleicher Eigenschaft schon für Alien und Total Recall verantwortlich. Doch bei diesen Filmen hatten die Regisseure Ridley Scott und Paul Verhoeven genug Profil, Shusett einiges entgegenzusetzen.

Murphys Profil bleibt eher blaß. Freejack hat seine Stärken in der Darstellung des möglichen Wertewandels, und nur da. Wenn zum Beispiel die helfende Nonne, vom bösewichtigen Manager verhört, die Ohrfeige mit einem Tritt in die Eier beantwortet und sagt: „Jesus Christus hat uns gelehrt, auch die andere Wange hinzuhalten, aber da kannte er noch nicht solche Wichser wie sie.“ Anzumerken ist der Versuch der Ausstattung, keine völlig neue Zukunftswelt zu entwerfen, sondern nur die jetzige konsequent zu überspitzen. Das wirkt weitaus realistischer und ist auch noch billiger, aber geht im allgemeinen Geballer leider fast völlig unter. Dies und ein paar nette Gags am Rande. Das war's dann auch schon. Selbst Anthony Hopkins bleibt farblos, einzig Mick Jagger agiert überdurchschnittlich. Vielleicht wirkt das auch nur so, weil er sich seine Bühnengrimassen klemmt, und statt dessen seine hübschen Hängebacken zur Schau stellt. Thomas Winkler

Freejack. Regie: Geoff Murphy, mit Emilio Estevez, Mick Jagger, Rene Russo, Anthony Hopkins, Jonathan Banks, David Johansen. USA 1992.