Komm, Tod

Über Derek Jarmans „EdwardII.“  ■ Von Christof Boy

Der Hof des Königs ist ein Raum der Zeitlosigkeit, hermetisch abgeschlossen von der Außenwelt. Wände, rauh und grob verputzt. Durchgänge, ihrer eigentlichen Funktion beraubt, da sie nur offengelassen scheinen, um den Blick auf die nächste Mauer dahinter freigeben zu können. Von irgendwoher ertönt Vogelgezwitscher, dazwischen der heisere Schrei eines Pfaus — entrückte, unwirkliche Geräusche in einer eigenen Welt, die lediglich aus Wand besteht. Und Licht. Licht, klarer als die helle Sonne. Hartes Gegenlicht, künstlich und blau, nur deshalb existent, um den Menschen einen Strahlenkranz des Unnatürlichen zu verleihen.

Derek Jarman schafft einen Raum, der uns vor allem eines sagen soll: Das Drama des liebenden Königs ist zeitlos. EdwardII. könnte auch Richter, Straßenbahnschaffner oder Pfarrer sein, wichtig ist nur, daß er, gebunden an die gesellschaftliche Rolle, die ihm von Geburt an auferlegt ist, zu den Außenseitern gehört. Was ist ein schwuler Pfarrer gegen einen schwulen König im elisabethanischen Zeitalter? Derek Jarman entreißt das Thema Schwulsein der Gegenwart, um es ihr zu erhalten, denn das 400 Jahre alte Stück von Christopher Marlowe, dem Zeitgenossen und Freund William Shakespeares, eignet sich, um das Universelle schwulen Außenseitertums zu beschreiben. Das ist eine Behauptung. Derek Jarman stellt sie frech in den Raum. Andere lesen Marlowes Drama als eine gewöhnliche Männerfreundschaft. Aber kommt es darauf überhaupt an? Klassische Stücke sind nur so lange heilig, wie man sie ehrfürchtig behandelt. Derek Jarman war schon immer ein enfant terrible der britischen Kunstszene. Womöglich vergeht er sich an dem Text von Christopher Marlowe. Vielleicht ein Mißbrauch, aber ein gelungener.

Ein Königreich für seinen Geliebten. Edward ist bereit, alles zu geben für eine in den Kreisen der Aristokratie zu jenen Zeiten skandalöse Zuneigung. Doch sein Freund Gaveston ist nicht nur schwul, er ist auch nicht standesgemäß genug — ein Franzose niedriger Herkunft. Edward provoziert eine Verschwörung von Adel, Klerus und Militär, als er den Geliebten an den Hof holt und sich ohne Rücksicht auf Tabus seiner Lust hingibt. Das Verhältnis von Edward und Gaveston stößt bei Hofe zunächst auf Unverständnis, dann auf unverhohlenen Haß. Das Coming out des schwulen Königs endet im Blutrausch. Gaveston wird ermordet. Edward rächt sich in düsterem Zorn und wird schließlich selbst umgebracht. Der König hat eine Grenze überschritten. Ein nicht zu duldender Zustand. Doch die erbarmungslose Gesellschaft, dargestellt von dem herrschsüchtigen Baron Mortimer und Edwards eifersüchtiger Frau Isabella (Tilda Swinton), erringt am Ende nur einen Phyrrussieg. Nach dem Sturz Edwards hockt das ränkeschmiedende Paar im goldenen Käfig der Macht, auf dem der kleine Prinz, Edwards Sohn und rechtmäßiger Thronfolger, herumturnt — behängt mit Frauenfummeln und großen Ohrringen. Ein schwules Königreich auf Erden. Eine Andeutung nur, aber eine ungeheuerliche.

Derek Jarman hat keinen Respekt vor den Klassikern, aber auch kein falsches Pathos für den ersten schwulen König der Weltliteratur. Edward ist ein schwacher König, in der homoerotischen Beziehung nimmt er die unterwürfige Rolle ein. Er läßt sich von Gaveston bevormunden, wie er sich zuvor von den Earls zurechtweisen ließ. Gaveston ist rüpelhaft, herrisch mit einem Hang zur Gewalttätigkeit. Bei seinem Antritt bei Hofe fordert er den Kopf des ihm verhaßten Bischofs von Winchester und bekommt ihn von Edward. Dieser König ist weich gegenüber seinem Geliebten, fügsam ist er aber auch, wenn es um die Rettung seiner eigenen Haut geht. Vor die Wahl gestellt, sein Amt zu verlieren, unterschreibt er einen Erlaß der Lords, der Gaveston in die Verbannung schickt. Für seine Schwäche muß der König schließlich bezahlen. Edward wird ermordet, indem ihm die Henker einen glühenden Pfahl in den Hintern rammen. Christopher Marlowes mehr als deutlicher Hinweis auf Edwards Veranlagung.

Derek Jarmans Film ist überschaubar. Aufgeräumt und klar wie das Szenenbild ist der gesamte Aufbau des Stückes. Die Handlung setzt sich Stück für Stück zusammen. Keine komplizierten Kamerafahrten, eine einfache Montage aus totalen, halbnahen und nahen Einstellungen. In den undekorierten Innenräumen, die alles sein können, Verlies, Schalfgemach und Schlachtfeld, ist vieles der Vorstellungskraft des Zuschauers überlassen. Die Konzentration auf das Wesentliche ist die Stärke des Films. Sobald Jarman jedoch mehr erklären will, gleitet er ins Klischee ab. Gaveston wird von einer Horde uniformierter Polizisten gestellt. Mit Schlagstöcken dreschen die Bullen auf ihre Plexiglasschutzschilde ein, um eine trillerpfeifende Menge schwuler Demonstranten abzudrängen. Die Bilder sind bekannt, die Botschaft bleibt zu offensichtlich. Jarman durchbricht eine stilisierte Symbolik zugunsten einer plakativen. Der Gay-König als Retter der Schwulenbewegung, die immer noch mit Antihomosexuellen-Gesetzen verfolgt wird.

So nah können Subtilität und Infantilität zusammenliegen. Schwuler Edelkitsch übrigens, der uns auch einen wunderbaren Auftritt von Annie Lennox beschert: „Every time we say good bye I die a little“, singt sie, während sich Edward und Gaveston voneinander verabschieden. Ein rührender, etwas überladener Abgang. Und ein Fingerzeig. Seit ein paar Jahren weiß Jarman, daß er HIV-positiv ist. In diesem Bewußtsein macht er weiter Filme, dem Tod so nahe und deshalb vielleicht eher dazu bereit, etwas zu riskieren. Die Kunst, dem Alltag mehr Leidenschaft abzuringen. Das leben, eine Passion des Liebens und Leidens: „Komm Tod, mit deinen Fingern schließe meine Augen. Doch leb ich fort, gib, daß ich mich selbst vergesse“, sagt Edward in das Schwarz des Abspanns hinein.

Derek Jarman: EdwardII. Großbritannien 1991, mit Steven Waddington, Andrew Collins, Tilda Swinton u.a.