Neuling im Club der Schach-Millionäre

Jan Timman und Nigel Short zocken im Kandidatenfinale der Schach-Weltmeisterschaft um das große Geld/ Short gewann gegen Anatoli Karpow die letzte Partie und damit das Halbfinale mit 6:4  ■ Von Stefan Löffler

Berlin (taz) — Zwei Spitzenverdiener kennt der Schachsport: Weltmeister Garri Kasparow und sein Vize Anatoli Karpow haben es zu Millionären gebracht. Einer hätte die beiden Moskowiter sogar locker in den Schatten stellen können. Doch Bobby Fischer schlug alle millionendollarschweren Comeback-Angebote aus, nachdem er sich mit seinem WM-Sieg 1972 gegen Boris Spasski vom bezahlten, weil öffentlichen Schach verabschiedet hatte. Bald wird der Club der Schachmillionäre um ein Mitglied reicher. Der Niederländer Jan Timman (40) hat im Halbfinale des Kandidatenturniers in Linares Artur Jussupow mit 6:4 besiegt. In der zweiten Begegnung schlug der Brite Nigel Short (26) den 40jährigen Schach-Bolschewiken Anatoli Karpow mit dem gleichen Resultat.

Im Januar entscheidet sich zwischen Timman und Short im selben andalusischen Städtchen, wer im Sommer 1993 mit Kasparow um den Weltmeistertitel und vier Millionen Dollar Preisgeld zocken darf. Nachdem K.u.K. die Schachkrone zuletzt in einer Privatfehde verhandelt haben, wird es erstmals seit Bobby Fischer einen Herausforderer geben, der nicht die sowjetische Schachschule durchlaufen hat. Und der hat dann ausgesorgt, auch wenn er wahrscheinlich kaum Chancen hat, Kasparow im kommenden Jahr vom Thron zu stürzen.

Neben etwa 1,2 Millionen Dollar für den nächsten Vizeweltmeister winkt jedem westlichen Herausforderer auch ein Werbevertrag eines Münchner Schachcomputer-Herstellers über eine Million Mark. Was nichts mit der Weltmeisterschaft zu tun hat, ist in der Regel weit weniger lukrativ.

Wie ein Taschengeld wirken die 15.000 Mark, die sich Kasparow durch seinen geteilten Turniersieg im Dortmunder Weltklasseturnier gesichert hat. Dank weltmeisterlicher Tarife dürfte ihm sein zweiwöchiger Deutschland-Trip mit dem Honorar für eine Simultanschach- Vorstellung vor dem Turnier und dem ebenfalls diskret behandelten Startgeld rund 100.000 Mark eingebracht haben.

Wer nicht zur Crème der besten 50 in der Welt zählt, lebt dagegen sehr bescheiden. Doch Schach ist Profisport. Seit die Preisverderber aus der GUS reisen dürfen, müssen westliche Nachwuchsmeister auf dem Weg Richtung Weltspitze mehr investieren, als ihnen lieb sein kann. Daß Handgelder die eigentlichen Geldpreise übersteigen, ist nicht ungewöhnlich. Schachprofis aus der GUS lassen sich ihre Deviseneinnahmen gerne in schamlos untertriebenen Summen quittieren. Daß Steuerhinterzieher von Schachmagazine lesenden Finanzbeamten entdeckt wurden, soll ja schon vorgekommen sein. Gesprochen wird ausschließlich über das Geld, das die anderen kassieren.

Waleri Salow hat während der Dortmunder Konkurrenz auch das Geschehen beim Kandidatenturnier verfolgt. Die gefaxte Notation der letzten Partien aus Linares erwartete nicht nur ihn an der Rezeption des Spielerhotels in Dortmund. Vor dem Schlafengehen spielte Salow die Werke von Timman, Short & Co nach und mußte feststellen: „Ich merke es in fast jeder Partie. Es geht um viel Geld. Sie machen so viele grobe Fehler. Es ist nicht normal.“ Jussupow und besonders Karpow gerieten regelmäßig in Zeitnot und leisteten sich da einige grobe Aussetzer. Jussupow schaffte es, mit einem Zug gleichzeitig einen Turm einzustellen und ein einzügiges Matt zuzulassen. Bedenkzeit ist Geld. Die Altkapitalisten aus London und Amsterdam haben das eben besser verstanden.