KOMMENTARE
: Ein Lehrstück

■ SPD, Stolpe und die Gauck-Anhörung im Potsdamer Ausschuß

Mit der Konfrontation „Stolpe gegen Gauck“ versuchen die Parteigänger des brandenburgischen Ministerpräsidenten gerne den Konflikt um die langjährigen Stasi-Kontakte des früheren Kirchenmannes zu pointieren. Die Personalisierung ist nicht einfach nur ein journalistischer Kunstgriff, um die zähe, längst zur Expertendebatte degenerierte Auseinandersetzung auch fürs breite Publikum noch einigermaßen spannend zu halten; vielmehr suggeriert die Deutung von Stolpes politischem Überlebenskampf als einer Konfrontation zwischen ihm und dem Behördenchef, am Ende könne ebensogut dieser als Verlierer dastehen. In der Personalisierung steckt eine Drohung — an Gauck.

Seitdem das Gutachten aus der Behörde auf dem Tisch des Potsdamer Untersuchungsausschusses liegt, haben die Sozialdemokraten kaum ein Mikrophon mehr ausgelassen, um diese Drohung zu untermauern. Die Vorwürfe — von der generellen Fragwürdigkeit des Materials und voreingenommen-selektiver Recherche über die ungedeckte Interpretation bis zu den eklatanten Verstößen bei der Übergabe des Stolpe-Berichts — gipfelten in der Ankündigung eines Gegengutachtens, mit dem man das Machwerk zu entlarven gedenke. Gaucks Aussagetermin vor dem Ausschuß würde für den Aktenverwalter zum harten Brocken — gar zum Anfang vom Ende? — geraten.

Nichts von alldem. Wollte man in der Begrifflichkeit des bedrängten Landesvaters bleiben, so war es mindestens Fahnenflucht, was sich die sozialdemokratischen Ausschußmitglieder am Dienstag in Potsdam haben zuschulden kommen lassen. Im Vortrag bemüht, in der Argumentation unbedarft, im Ergebnis jämmerlich brachte die als Gauck-Verhör avisierte Veranstaltung nur eines zutage: die Not der brandenburgischen Sozialdemokraten, ihr Ressentiment gegen das Gutachten in eine Verteidigung zu überführen, die der Angst vor dem Verlust des populären Spitzenmannes auch nur in Ansätzen entspräche. Präzise-zurückhaltend, mit dem bis an die Grenzen der Karikatur getriebenen Ductus eines preußischen Ministerialdirigenten verteidigte Gauck seine Recherche. Nur in dieser Form gelang es ihm, zumindest den Anflug von Ironie unterzubringen, mit der allein sich das offensichtliche Mißverhältnis von großer Klappe und kleinlautem Auftritt der SPD-Riege kommentieren läßt.

Wollte man die Chancen Stolpes am Engagement seiner parlamentarischen Fürsprecher messen, der Abgang wäre programmiert. Doch daß der Ausschuß nicht den Ort abgibt, wo sich die nebulöse Entlastung zur insistenten Verteidigung formt, beleuchtet neben der argumentativen Bredouille der SPD vor allem, daß hier ohnehin nicht über die Zukunft des Ministerpräsidenten entschieden wird. Gerade weil die Not Stolpes dem Defizit an Argumenten entspricht, mit denen sich die belastenden Indizien entkräften ließen, sucht man die Entscheidung dort, wo Argumente nicht zwangsläufig den Ausschlag geben. In einer diffusen Öffentlichkeit, die für Stolpes landesväterlichen Populismus allemal den besseren Resonanzboden abgibt als für den argumentativ unterfütterten Moralismus seiner Kritiker. Niemand mehr als Stolpe bedarf deshalb für seine Kampagne der Medien, denen er bei jedem Auftritt von neuem die „Kampagne“ gegen seine Person zum Vorwurf macht.

Stolpe und seine Öffentlichkeit, die SPD und das Parlament — ein Lehrstück über die zeitgemäßen Mechanismen des Machterhalts. Wie formuliert er manchmal an „seine Brandenburger“? — „Zum Kotzen!“ Matthias Geis