Tokio sucht Sonderbeziehung zu Bonn

Premierminister Miyazawa besucht Bonn/ Divergenzen über Rußland-Hilfe/ Einigkeit bei den Vorbereitungen für Rio  ■ Aus Tokio Georg Blume

Was mag der seltene Gast aus dem Fernen Osten nur denken, wenn er die streikenden Arbeiter sieht? So hatte sich Japans Premierminister Kiichi Miyazawa seinen Empfang in der Bundesrepublik sicher nicht vorgestellt. War er nicht gekommen, um vermeintliche Gemeinsamkeiten zu preisen: Disziplin und Pünktlichkeit, Effizienz und Pflichtgefühl? Vor seiner Abreise hatte ein hoher japanischer Diplomat von der „Tüchtigkeit als Gemeinsamkeit unserer Rassen“ geschwärmt. Mit ein bißchen Rücksicht — nicht nur — auf die deutschen Arbeiter müßte Miyazawa solche Besuchsrethorik eigentlich vermeiden. Vielleicht sollten die japanischen Diplomaten auch sonst mit Begriffen wie „Rasse“ vorsichtig sein. Aus guten historischen Gründen hatten die Wirtschaftsvormächte Europas und Asiens die bilateralen Gipfelgespräche lange Zeit gänzlich gemieden oder wie zuletzt vornehmlich auf die internationalen Treffen der G-7-Gruppe begrenzt. Im Zeichen einer „neuen Weltordnung“ soll sich das freilich ändern.

Erstes verläßliches Zeichen für die Annäherung sind die überraschend schnell arrangierten Gespräche zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl und seinem japanischen Kollegen Miyazawa am Donnerstag in Bonn. Doch bei den zu erörternden Fragen wird es auch um Gegensätzliches gehen: Während Bonn auf finanzielle Entlastung aus Tokio bei der Hilfe für den Osten hofft, möchte Miyazawa um Verständnis für die Forderung nach der Rückgabe der russischen Kurileninseln werben. Und bei den Maßnahmen zur Bekämpfung der weltweiten Konjunkturkrise macht jeder den anderen verantwortlich.

Dennoch werden Kohl und Miyazawa die Zankäpfel der Weltpolitik schnell beiseite räumen. Beiden geht es um Wichtigeres: Wie können Deutschland und Japan nach Ende des Kalten Krieges international mitregieren? Besonders die Tokioter Regierung hofft auf eine Sonderbeziehung mit Bonn. Als traditionelles Exportland legt die Bundesrepublik wenig Wert auf Handelsbegrenzungen, wie sie etwa die USA von Japan einfordern. In der langfristigen Wirtschaftspolitik sieht sich Tokio deshalb näher zu Bonn als zu Washington. Bestes Beispiel dafür gibt der geplante Umweltgipfel der UNO.

„Es gibt keinen Grund“, betonte ein hoher Beamter des Außenministeriums in Tokio, „warum Miyazawa und Kohl in Bonn nicht eine gemeinsame Zielerklärung für den Umweltgipfel in Rio de Janeiro geben könnten.“ Sowohl Japan als auch die Bundesrepublik fordern nämlich in Rio eine verpflichtende Erklärung zur Stabilisierung der klimaschädlichen CO2-Abgaben. Doch vor allem die USA ziehen da nicht mit. Würden sich Bonn und Tokio in diesem Punkt gemeinsam vor der Öffentlichkeit gegen Washington stellen, wäre dies zweifellos ein weltpolitisches Novum. Wahrscheinlich aber ist, daß George Bush bereits alles getan hat, damit es so weit nicht kommt.