Helmut Zorn: Bis zum Jahr 2010 droht Bremen das 'Aus‘

■ „Handel 2010 in Bremen“ - aus einer Rede des Vorsitzenden des Einzelhandelsverbandes Bremen, Helmut Zorn

(...) Um die Wende von den sechziger in die siebziger Jahre befand sich Bremen auf dem Höhepunkt seiner Nachkriegsgeschichte. Alles ging gut vor dem Winde. In Bremen wurde besser gelebt als in München und Stuttgart. Viele Niedersachsen — zumal die Oldenburger — ließen vieles von ihrem Geld in Bremen. Bremen hatte eine Zentralität von über 130. Das bedeutet, daß Bremen über 30% mehr Umsatz im Einzelhandel hatte, als es der Kaufkraft der Bremer entsprach.

Bis 1991 hat sich das Bild grundsätzlich geändert. Bremens Einzelhandelszentralität ist auf 107 gesunken. Das ist der niedrigste Wert aller deutschen Großstädte. Das ist der niedrigste Wert aller Städte im Umland. Das ist eine schlichte Katastrophe. Im ehemaligen Armenhaus Schleswig-Holstein geben die Menschen pro Kopf mehr Geld aus als in dem Stadtstaat Bremen und seinen beiden Oberzentren.

Dieses desolate Resultat möchte ich in folgenden Punkten zusammenfassen:

1. Bremen fehlt mindestens eine Milliarde Mark Einzelhandelsumsatz, um statistisch eine Durschnittsgroßstadt zu sein. Bremens Zentralität liegt hinter der von Delmenhorst, Rotenburg, Verden, Osterholz-Scharmbeck und wie die Umlandsstädte alle heißen.

2. Der Rückgang der Zentralität ist nicht etwa die Folge des Rückgangs an Arbeitsplätzen, Kaufkraft, Einwohnern und ähnlichen Ereignissen, unter denen Bremen zu leiden hatte. Die Zentralitätskennziffer berücksichtigt diese Faktoren. Der Rückgang an Zentralität ist ganz allein hausgemacht. (...)

3. Trotz verspäteten Bemühungen, etwas für die Innenstadt zu tun, war hier die Entwicklung am schlechtesten. Es muß zur Kenntnis genommen werden, daß Entscheidungen in und für die Innenstadt falsch gemacht worden ist. (...)

4. Niemand sollte nun allerdings denken, daß nur die Innenstadt Probleme hätte. Bis auf ganz wenige Standorte in Bremen muß man zu den meisten Nebenzentren feststellen: Die Lage ist hier an Trostlosigkeit kaum noch zu überbieten. Auch das läßt sich an einer Zahl festmachen: Der bremische Einzelhandel hat zwischen 1971 und 1991 real zwischen 27% Umsatzzuwachs gehabt. Das war ein Drittel des bundesdurchschnittlichen Zuwachses. Dieser Zuwachs ist rechnerisch überwiegend den neugeschaffenen Großbetrieben an nichtintegrierten Standorten zuzurechnen. Der überwiegende Teil der bremischen Nebenzentren ist seit Jahren in extremen Schwierigkeiten. Die Einschränkungen des Individualverkehrs auf den Heerstraßenzügen werden das langsame Sterben der Nebenzentren drastisch beschleunigen. Das hat eine Umfrage ergeben.

Am Rande bemerkt: Wer den Umbau einer Staße in einem halben Jahr plant und nach drei Jahren immer noch nicht fertig ist, darf sich nicht wundern, wenn es nicht nur an dieser Straße schlecht geht. Da geht Vertrauen in der ganzen Stadt flöten. (...)

6. (...) Es wird Zeit, daß alle Politiker, alle Planer, alle Verantwortlichen zur Kenntnis nehmen, daß der zum Teil durch Unterlassen herbeigeplante Niedergang des bremischen Einzelhandels ein aktiver Beitrag zum allgemeinen Niedergang der Stadt gewesen ist und u.U. bleiben wird. In Verknüpfung mit dem Einzelhandel stehen praktisch alle übrigen oberzentralen Funktionen einer Stadt, von den Dienstleistungen wie Banken und Versicherungen, über die Gastronomie, den Tourismus bis hin zu Freizeit und Kultur- und damit die Standortqualität insgesamt. Nur geringfügig überspitzt kann man formulieren: Zeige mir was für einen Einzelhandel du hast, dann sag ich dir, welche Kultur du hast. Und dieser Satz läßt sich auch umdrehen: Zeige mir, welche Kultur du hast, und ich kann dir sagen, wie dein Einzelhandel ist. (...) Es war ausgerechnet in Bremen trainierter Vor- und Querdenker, der diesen Zusammenhang umgesetzt hat. Ohne Kurt Rossa, dem ehemaligen Staatsrat aus Bremen, wäre Köln wohl kaum zur Kulturhochburg geworden. Handel, Gastronomie — praktisch die gesamte übrige Wirtschaft-haben massiv davon profitiert. Heute ist Köln ein prosperierendes Vorzeigestück. - Also läßt sich auch folgern: Die Qualität des Einelhandels ist direkt proportional zur Qualität der Politik.

Alternativen müssen her

Nach dieser zugegebenermassen wenig erfreulichen Analyse kann ich die Prognose für das Jahr 2010 in der negativen Alternative ohne Schwierigkeiten auf den Punkt bringen: Bremen hat in den vergangenen zwanzig Jahren etwa 20 Punkte Zentralität verloren. Wenn das so weitergeht, wird Bremen im Jahre 2010 eine Zentralität von rund 87% haben. Das bedeutet den Verlust entscheidender Qualitäten, die eine Grossstadt in der Vernetzung von Kommerz und Kultur ausmachen. Das währe wohl das entgültige Aus.

Nicht jeder, der nach Alternativen sucht ist ein Alternativer. Und nach Alternativen suchen wir mit aller Macht. Dazu rechnen wir allerdings nicht diejenigen, welche sich die Erfüllung der Koalitionsvereinbarung auf Punkt und Komma erhoffen z.B. weg mit den Autos, weg mit den Parkhäusern, Durchgangsverkehr von der miesen Martinistrasse auf eine der letzten schönen Straßen, den Wall, Verhinderung des Neubaus einer großartigen Passage, bei der dann endlich die Autos in den Keller kommen. Ich meine natürlich die Landesbankpassage. Die so Gläubigen hoffen auch auf schnellen weiteren Rückbau der Verkehrswege in die Innenstadt, weil dadurch gleichzeitig die betroffenen Nebenzentren in der zitierten Weise noch schneller dezimiert werden können. Lassen sie mich diesen ersten Teil mit Friedrich Hölderlin schliessen, der folgendes erkannt hat: „Noch immer haben die die Welt zur Hölle gemacht, die vorgeben, sie zum Paradies zu machen.“