Demonstration gegen eigenes Motto

■ 1. Mai trotz Streik schlecht besucht / Teilen verbindet: „Sprachlich sehr gut, inhaltlich Unsinn“

Mehr Fahnen, weniger Gewerkschafter: 1.-Mai-Demonstration in BremenFoto: Jörg Oberheide

Obwohl die beiden größten DGB- Gewerkschaften zur Zeit mitten im Arbeitskampf stehen, setzte sich die Schrumpftendenz der 1.-Mai-Demonstrationen gestern ungebrochen fort. Waren im letzten Jahr noch über 5.000 gezählt worden, füllten gestern 4.000 GewerkschafterInnen (nach Polizeiangaben) den Bremer Markt nur noch in der vorderen Hälfte. Da half es auch nichts, daß DGB- Chef Siegfried Schmidt seine Rede mit dem Satz beendete: „So voll war dieser Platz schon lange nicht mehr!“

Zwar übertrafen in diesem Jahr

hier bitte das Foto

von der Mai-Kundgebung

die ÖTV- und IG-Metall-Mitglieder an Zahl den Block der mitdemonstrierenden kurdischen Arbeiterpartei (PKK) knapp, an Lautstärke und Transparentgröße blieben sie jedoch wiederum weit unterlegen. Andere Gewerkschaften wie BSE, NGG, IG Medien oder HBV wurden fast nur durch ihre Fahnen vertreten, die Mitglieder blieben weg.

Sie haben auch nicht viel verpaßt. Die Rede des Bremer DGB- Kreisvorsitzenden Schmidt gipfelte in der Forderung: „Wir wollen gutes Geld für unsere gute Arbeit“. Und das DGB-Vor

standsmitglied Lothar Zimmermann kündigte an, daß „die Gewerkschaften sich nicht zum Schoßhund einer unsozialen Marktwirtschaft machen lassen.“ Lauten Applaus gab es lediglich, als Zimmermann in Richtung Rathaus rief: „Die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten müssen jetzt etwas für den Tarifabschluß im Öffentlichen Dienst tun.“ Doch Klaus Wedemeier konnte ihn nicht hören; er trat zur gleichen Zeit gerade als Kundgebungsredner auf — vor der 1.-Mai-Demonstration in Vegesack (vgl. nebenstehenden Artikel).

Hoch über dem Rednerpult vor der Bremer Bürgerschaft prangte das offizielle DGB-Motto zum 1. Mai, „Teilen verbindet“, über das es im Vorfeld auch in Bremer Gewerkschaftskreisen heftige Auseinandersetzungen gegeben hatte (vgl. taz vom 16. und 29.4.). „Das ist das offizielle Motto des DGB, wir sind da ja nicht nach gefragt worden“, drückte sich ein Jacobs-Betriebsrat noch vorsichtig aus. Schlichten „Quatsch“ fand dagegen sein Kollege das Motto: „Das wäre angebracht gewesen, als es noch was zu verteilen gab.“

Mitglieder der IG Medien hatten den Spruch per Aufkleber einfach in „Streiken verbindet“ verändert. „Das DGB-Motto ist unheimlich modern“, sagte ein demonstrierender Journalist, „sprachlich sehr gut, inhaltlich Unsinn“. Bremens IG-Medien- Vorsitzender Kurt Müller drückte seinen Unmut über „Teilen verbindet“ gleich auf einem Flugblatt aus, das den Text einer im DGB-Kreisvorstand lediglich organisationsintern beschlossenen Kritik wiedergab (vgl. obenstehende Dokumentation). Als kleine Provokation versah Müller sein Flugblatt auch noch mit der Überschrift: „Gegen Tarifdiktat und Sozialabbau“ — dem offiziellen Streikmotto der Konkurrenzgewerkschaft DAG.

Nur mit einer versteckten Geste brachte dagegen Bremens DGB-Chef Schmidt seine Kritik am DGB-Motto zum Ausdruck: Statt der offiziellen 1.-Mai-Plakette trug er die traditionelle rote Plastiknelke am Revers. Dirk Asendorpf