Wenn die Zeit stillsteht

■ Das Ensemble Modern im Kammermusiksaal der Philharmonie: mit Werken von Bernd Alois Zimmermann, Hans Zender, Pagh-Paan und Mathias Spahlinger

Am vergangenen Mittwoch fand das fünfte der Abonnementkonzerte des Ensembles Modern unter der Leitung von Hans Zender statt. Auf dem Programm standen neben einer Kantate von Bernd Alois Zimmermann aus dem Jahr 1957 drei Stücke neueren Datums: Hans Zenders Furin No Kyo von 1988/89 sowie MA-UM von Younghi Pagh-Paan und Mathias Spahlingers furioso, die beide 1991 komponiert wurden.

Die Kantate Omnia tempus habent für Sopran und 17 Soloinstrumente entstand in einer stilistischen und ästhetischen Umbruchphase Zimmermanns, während der er seinen »pluralistischen Stil« entwickelte. Der Text, den Zimmermann für seine Kantate wählte, ist dem dritten Kapitel des Liber Ecclesiastes der Bibel entnommen, nach Zimmermanns Worten »der wohl herrlichste Gesang über die Zeit, das ‘tempus‚ schlechthin«. Die Zeile Omnia tempus habent (Ein jegliches hat seine Zeit) wird zu Beginn der Komposition solistisch vorgetragen und so als Grundgedanke herausgestellt. Abrupte Wechsel der Ausdrucksmodi zwischen gesungenem und gesprochenem Textvortrag beschreiben verschiedene Tätigkeiten wie pflanzen, töten, suchen oder lieben, die in der Zeit ausgeführt werden. Bei den Worten »et tempus pacis« (Friede hat seine Zeit) scheint der Zeitfluß stillzustehen. Lange Töne der hohen Register, die, mit Tremolo oder in Trillern ausgeführt, flächig werden, verschieben sich in unregelmäßigen Wechseln zueinander, sie entweichen der Faßlichkeit, transzendieren. Am Ende der sich anschließenden Betrachtung über die Unbegreiflichkeit der Schöpfung Gottes findet die Musik wieder zum Zustand des Friedens, zum Stillstand zurück.

Zeit, stehend oder bewegte, ist auch das Thema der Komposition Zenders. In vier Abschnitten wird in vier Sprachen das Gedicht eines japanischen Zen-Mönchs in unterschiedlichen Interpretationen vertont. Geht Zimmermann von einer Verschmelzung der verschiedenen Realzeiten zu einem Punkt aus, so erfolgt der Blick auf das Phänomen Zeit hier aus entgegengesetzter Richtung. Ein Augenblick, der zugleich betrachtenden, spielerischen, dramatischen und ekstatischen Charakter haben kann, dehnt sich in der Zeit aus. Nacheinander werden die verschiedenen Aspekte vorgestellt. Im betrachtenden Teil ist der Klang ausgedünnt und durchsichtig. Behutsam bewegen sich die Töne und Klangfarben durch das Ensemble, werden von einem Instrument zum anderen weitergegeben. Singstimme und Soloklarinette sind dabei völlig in den Orchesterapparat integriert. Anders ist dies in dem Teil, der Dramatik beschreibt. Die Töne klingen abgehackt, sind zum Teil geschlagen. Abgerissene Phrasen reihen sich aneinander. Die Sopranistin hat den Text kurz und bündig sprechend vorzutragen.

Julie Moffat interpretierte beide Werke der ersten Programmhälfte mit großer Differenziertheit in Ausdruck, Artikulation und Dynamik. Durch ihre abwechslungsreiche, oft überraschend, aber niemals unpassend wirkende Klanggebung wurde besonders die Kantate Zimmermanns zu einem beeindruckenden musikalischen Erlebnis.

Mit Mathias Spahlingers furioso war der Hörer dieses Konzerts einem großen Sprung in eine andere musikalische Welt ausgesetzt. »Freundliche Negation« ist das Thema des neuesten Stückes dieses Komponisten. Jeder Klang ist Negation des vorherigen. Eingeleitet wird das Stück durch eine rasche Folge von leisen, kurz und prägnanten Tönen, die gezupft oder mit dem Holz des Bogens geschlagen werden. Im Gegensatz dazu stehen kaum hörbar gehauchte Klänge, tonlos geblasen oder auf dem Korpus des Instruments gestrichen. Alles scheint auseinanderzubrechen, ein Einzelklang wird vom nächsten abgelöst, und nur zufällig fallen gelegentlich zwei Klänge zusammen. Im weiteren Verlauf werden jedoch zunehmend klare Formabschnitte erkennbar, rhythmisch markantere vom Jazz beeinflußte Passagen tauschen auf, Teile werden in abgewandelter Form wiederholt. Der fragmentarische Charakter des Beginns bleibt jedoch erhalten und wird durch Aktionen auf der Bühne, wie beispielsweise die Umgruppierung der Musiker nach dem ersten Teil oder das fast unmerkliche Hinzutreten zusätzlicher Instrumentalisten gegen Ende des Stückes, noch verstärkt. Die Atmosphäre des Schlußabschnitts gemahnt an die von Zimmermanns et tempus pacis, und so war das Konzert eine runde Sache, ein Ereignis, das für zwei Stunden die Zeit hat stillstehen lassen und die Hörerschaft während dieses Verweilens fesselte. Susanne Elgeti