Notwendigkeit des Aufnähers

■ Die Abstürzenden Brieftauben kommen in Huxley's Neue Welt: Mit guten Absichten

Drei Jahre bevor Solidaritätskonzerte mit dem Titel »Ich bin ein Ausländer« modern wurden, hatte Gerhard Polt einen Film über ein deutsches Urlauberehepaar gedreht, das sich während seiner Strandbelagerung in Italien zeitgemäßen Kolonialträumen hingibt. Von gutgemeinten Mitleidsbekundungen haben sich die Abstürzenden Brieftauben, seit neun Jahren unbeirrbar im Fun-Punk-Bereich agil, bislang ferngehalten. Anfang des Jahres leisteten sie ihren Beitrag zum Thema aber doch noch mit einer Single namens Eine Muh, eine Mäh, eine Tätärätätä: der Poltsche Stoff wieder aufgewärmt, auf dem Cover ein rosig brutzelndes Paar in Sandburg samt Gartenzwerg und schwarzrotgoldener Flagge. Über alle weiteren von Polt abgeschauten chauvinistischen Sexphantasien und Ausländerfeindlichkeiten hinaus wird die deutsche Einheit Thema: in absturztypische Knittelverse zusammengefaßt. Das didaktische Prinzip möchten Mirco Bogumil und Konrad Kittner als »Entlarvung« mittels Groteske verstanden wissen.

Zur Wende in die Politik, zur Aufgabe, »Stücke dagegen zu machen« (Bogumil), fühlte sich das Duo verpflichtet, nachdem in der Heimatstadt Hannover Rechtsradikale die besetzte Kornstraße überfielen und Konzerte aufmischten. Zum ehrlichen Anliegen gesellt sich aber auch prima der Vorteil, wieder werbeträchtig ins Gespräch zu kommen. Auf dem Sampler Nazis raus! zum Beispiel, den das Fanzine ZAP im letzten Jahr veröffentlichte, artikulieren Gruppen wie die Betoncombo sogar Träume von einer »Reunion- Tour«. Ein Teil des Gewinnes soll »im Sinne des Titels dieses Albums« gespendet werden. Auch die Abstürzenden Brieftauben hoffen auf die Kaufkraft der »breiteren Massen«: Das Angebot ihres Labels, das sich von Büchern bis zu Anti-Nazi-Aufnähern erstreckt, solle »gerade Kids« angesprechen, »die sich umhören und -gucken« (Bogumil).

Ansonsten haben die Abstürzenden Brieftauben natürlich auch eine neue Platte gemacht. Sie nennt sich Außer Kontrolle, unkontrolliert ist an ihr jedoch gar nichts. Es handelt sich bei den neuen Titeln weiterhin um ordentlich einstudierte Spaßstückchen, die vor allem von Schülernöten handeln. Wer sich nach fast einem Jahrzehnt mit so viel ungebrochener Einfallslosigkeit immer noch auf die Bühne wagt, hat es allerdings nötig, mit Goodwill-Aufnähern Sympathie-Punkte zu sammeln. Claudia Wahjudi

Heute 21 Uhr in Huxley's Neuer Welt