Das letzte Land der Muslime

■ In die ägyptische Oase Siwa verirrten sich bislang nur wenige Fremdlinge. Karim El-Gawhary besuchte das Wüstenidyll, dem eine touristische Zukunft bevorsteht

In die ägyptische Oase Siwa verirrten sich bislang nur wenig Fremdlinge.

KARIM EL-GAWHARY besuchte das Wüstenidyll, dem eine touristische Zukunft bevorsteht.

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ie Menschen sind schlicht, gefeit gegen liberale Tendenzen, die Ordnungen sind alt und unerschütterlich, durch die Jahrhunderte geheiligt.“ Diese Beschreibung einer sibirischen Kleinstadt durch den russischen Autor Dostojewski läßt sich mühelos auf die ägyptische Oase Siwa übertragen.

Die 6.000 Einwohner zählende Oase liegt in der westlichen Wüste Ägyptens, nur wenige Kilometer vom nächsten libyschen Grenzposten entfernt. „Akhir bilad al-muslimyin“, das letzte Land der Muslime, nennen die Ägypter diesen kleinen fruchtbaren Landstrich, der von Hunderten von Kilometern menschenfeindlicher Sandwüste umgeben ist.

Hier scheint die Welt noch in Ordnung. Relativ abgeschnitten vom Niltal, sprechen die Einwohner ihre eigene Sprache, feiern auf ihre Art Hochzeit und sind auch sonst recht eigensinnig, was Sitten und Tradition anbelangt. Die „Ägypter“, wie man die Niltalbewohner hier nennt, gelten als Auswärtige, als Fremde.

Doch seit vor sieben Jahren der Asphaltweg fertiggestellt wurde, der Siwa mit der Mittelmeerküstenstraße verbindet, haben es die dortigen Einwohner vermehrt mit einer ganz anderen Art von Fremdlingen zu tun. Mit der Straße zogen Touristen in die Oase ein. Vor allem Hobby-Abenteurer und Studenten, die nur mühselig ihre schweren Rucksäcke von der Bushaltestelle am Hauptplatz Siwas in eines der sieben kleinen Hotels der Oase schleppen. Mit jedem Bus kommt eine Handvoll an. Da es nicht viel Busse gibt, kann man nicht gerade von Massentourismus sprechen. Die Besucher machen sich tagsüber auf Erkundungstour durch die Gärten der Oase, in denen eine Viertelmillion Dattelpalmen Schatten spenden soll. Meist mit Fahrrädern, die sie sich von den örtlichen Fahrradverleihern ausgeborgt haben. Die Siwis haben schnell die Zeichen der Zeit erkannt: gleich mehrere solcher Verleihe wurden eröffnet.

Einer derjenigen, der weiß, woher der Wind neuerdings weht, ist Abdou. Sein Restaurant ist zum abendlichen Treffpunkt und zur wichtigsten Info-Börse für die Touristen geworden. Dort erfährt man schnell, wo die einsamsten Quellen, die saubersten Hotels oder der schönste Silberschmuck zu haben ist.

Abdou sitzt an einem großen Schreibtisch gleich neben der Küche und sieht dem abendlichen Treiben gelassen zu. Mit breitem Lächeln erzählt er von der Erweiterung seines Restaurants auf die doppelte Tischzahl. Er deutet auf den Rohbau eines Hotels direkt gegenüber. „Tendenz steigend“, scheint die allgemeine Prognose der zukünftigen Touristenzahl zu sein. Noch wirkt alles in Abdous Restaurant sehr schlicht zusammengezimmert. So manches Detail zeugt von liebevoller Einrichtung. Das gilt übrigens für alle vier Restaurants vor Ort. Im nur wenige Meter von Abdous entfernten „East-West-Restaurant“ hängt ein altes angegrautes Kalenderblatt mit den Niagarafällen im Sonnenuntergang als Motiv. Es soll wohl die Gedanken von der fehlenden Klimaanlage ablenken.

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as Geschäft läuft im Moment gut“, betont Abdou. „Und das zum Fastenmonat Ramadan“, wundert er sich. Das hat weniger mit dem Interesse der ausländischen Besucher am Islam zu tun. Zufällig ergibt sich dieses Jahr, daß der Ramadan mit den Semesterferien deutscher Universitäten zusammenfällt. Deutsche Studenten bilden an diesem Abend die Mehrheit bei Abdou. Fast vermißt man das obligatorische Schild „Hier kocht Muttern“.

Gleich neben Abdous Restaurant befindet sich einer der Läden Siwas, die Kunsthandwerksartikel verkaufen. Die Oase ist bis über die Grenzen Ägyptens hinaus für ihr Kunsthandwerk bekannt. Die Regale sind gefüllt mit buntgeflochtenen Körben, bestickten traditionellen Brautkleidern, auf die Dutzende von Perlmuttknöpfen genäht sind, oder mit Silberschmuck, wie er in dieser Weise nur in Siwa hergestellt wird. Die Läden wurden ursprünglich als Kooperativen aufgebaut. Besonders die Frauen Siwas geben ihre kunstvoll angefertigten Arbeiten dem Laden in Kommission, zu einem festgesetzten Preis. Der Laden darf nur wenig draufschlagen. Aber die dortigen Händler wollen sich das wachsende Geschäft nicht entgehen lassen. Mehr und mehr gehen sie dazu über, die Dinge lieber aufzukaufen und die Höhe ihres Profits selber zu bestimmen. So finden sich dort immer weniger Artikel mit den kleinen angesteckten Stoffetzen, wo Name und Preisforderung der Familie festgehalten sind.

Yussuf arbeitet in einem Krämerladen nur wenige Schritte von Abdou entfernt. Einer jener Wunderläden, wie es sie überall im Nahen Osten gibt. In diesem garagengroßen Raum findet sich so ziemlich alles, was man zum täglichen Leben braucht. Viel Neues haben die Touristen nicht für Yussufs Laden gebracht. Mineralwasser in Plastikflaschen und Toilettenpapier gehören zu den Innovationen in der Produktpalette. Einen großen Unterschied macht das nicht. Im Winter, wenn etwas mehr Touristen da sind, verkauft Yussuf pro Woche einen Kasten Wasser, und Abdou nebenan kauft ab und zu ein paar Dinge für sein Restaurant.

Die Siwis halten sich von den neuen Fremden weitgehend fern. Direkt angesprochen, reagieren sie meist höflich, aber am liebsten wollen sie in Ruhe gelassen werden. Das Thema Touristen wird hinter den Kulissen kontrovers diskutiert. Ausdruck unausgesprochener Vorbehalte sind Schilder, die überall in Hotels und Restaurants angebracht wurden. „Keine Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit“ ist da etwa zu lesen. Frauen werden aufgefordert, sich dezent, gemäß den Sitten zu kleiden.

Auch hier treten die Individualtouristen mit der üblichen Selbstverleugnung auf. „Schade eigentlich, daß die Touristen diese wunderschöne Oase heimsuchen“, beschreibt ein Kölner Germanistikstudent seine Gefühle. „Aber zum Glück sind wir dieses Jahr schon hierhergekommen. In wenigen Jahren kann man das alles hier vergessen“, fügt er aufatmend hinzu.

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avon gehen die betroffenen Siwis natürlich nicht aus. Zwar kursieren Ängste wie z.B., daß die Touristen Aids in die Oase bringen könnten, aber eigentlich fürchtet man Probleme anderer Art. So lange sich die Besucher dem Islam gemäß benehmen, ist nichts gegen sie einzuwenden, erklären die religiösen Würdenträger und Moscheen-Vorsteher vorsichtig. „Das wichtigste ist, daß sie keinen Alkohol hierherbringen und daß sie keine Kirchen bauen“, führt einer von ihnen aus. Alkohol scheint für die strenggläubigen Siwis eines der Hauptprobleme des Tourismus zu sein. Meist setzen sie ihre Prinzipien zur Not auch handfest durch, wie z.B. Abdou. Vor einiger Zeit warf er eine Gruppe Japaner kurzerhand aus seinem Restaurant. Sie hatten sich über ihn lustig gemacht und wollten partout nicht einsehen, warum sie ihren mitgebrachten Whisky nicht trinken sollten.

Die Zukunft soll Siwa höhere Touristenweihen bringen. Auch hier war der bescheidene Rucksacktourismus Vorreiter der aggressiveren organisierten Form. Die meisten Siwis sind noch ahnungslos über ein bevorstehendes Touristendorf in der „Fünf- Sterne-Kategorie“. Erst letztes Jahr hat der zuständige Gouverneur von Marsah Matruh den Grundstein für dieses Projekt am Rand von Siwa gelegt. „Es wird 200 Betten haben, und die Besucher werden direkt von den europäischen Flughäfen am nahegelegenen Militärflughafen ankommen“, erklärt Said Al-Aid, der Vize- Generalsekretär des Gouvernements Matruh stolz. Bisher seien die touristischen Ressourcen Siwas kaum genutzt worden, beklagt er, denn dies brächte der Oase Arbeitsplätze. Laut Joint-venture-Vertrag mit einer italienischen Hotelkette müssen 60 Prozent der Arbeiter und Angestellten des geplanten Hotels aus Siwa selbst kommen. „Selbstverständlich für die einfacheren Arbeiten“, fügt Said Al-Aid eilfertig hinzu. Er befürchte keine negativen Auswirkungen auf die Oase durch dieses Projekt. Das Hotel sei wie eine Festung angelegt, und es werde kaum zu Kontakten zwischen Gästen und den Einwohnern kommen.

Wenig Berührung werden die Siwis auch mit dem Profit, den dieses Projekt abwirft, haben. Den teilt sich die italienische Hotelkette mit ihren ägyptischen Geschäftspartnern. So zumindest befürchtet einer aus der Oase, der seinen Namen lieber nicht preisgeben möchte. Die meisten Siwis, die etwas über dieses Projekt wissen, beurteilen es eher negativ. „Sie haben uns gezeigt, wo die verschiedenen Örtlichkeiten angelegt werden. Als sie auf den Platz deuteten, wo in Zukunft die Bar sein soll, kam die Delegation aus Siwa ins Stocken“, erzählt einer von ihnen. Denn, und darüber ist man sich in ganz Siwa einig, Touristen, die Alkohol trinken, sind schlechte Touristen, egal ob sie im Bus mit Rucksack oder im Flugzeug mit Koffern kommen.