INTERVIEW
: „Militärischer Sieg nur durch Völkermord“

■ Fragen an den Sendero-Forscher Carlos Ivan Degregori

taz: Wieviel Freiraum gibt es noch nach dem Fujimori-Putsch für unabhängige Bewegungen?

Degregori: Alle Kräfte in der Mitte wurden durch diesen institutionellen Putsch geschwächt. Das ist tragisch, denn die Armee hatte sich von einer Politik des Massenmordes zu einer verständigeren Position entwickelt und man hätte sie zu einer demokratischen Institution machen können. Fujimori hätte dazu die Möglichkeit gehabt. Es war eine der wenigen positiven Leistungen des Parlamentes, ein Paket militaristischer Befriedungsgesetze abzulehnen und sich auf Reformen zu einigen, die die Regionalparlamente, die Bürgermeister, die Frauenorganisationen usw. an vereinigten „Befriedungskomitees“ in allen Provinzen und Bezirken beteiligt hätte. Es wären nicht mehr allein die Militärs, die in einer Region den Notstand verhängen und das Kommando an sich reißen. Aber leider blieb das auf dem Papier und wurde nie verwirklicht.

Wie ist das rasche Wachstum des Sendero Luminoso zu erklären?

Sendero wächst aus zwei Gründen: Erstens aus eigener Kraft durch die Schaffung einer straff organisierten und stark ideologisierten, fanatischen Partei, die wie ein Magnet vor allem auf die gebildeten Jugendlichen wirkt, die in diesem Land mit enormer Akademiker-Arbeitslosigkeit keine Perspektiven für sich sehen. Aber dieser fanatisierte Apparat kann wachsen, weil er ein perfektes Umfeld vorfindet: die Wirtschaftskrise und den Drogenhandel. Die moralische Krise und die Unfähigkeit der Parteien, den Kontakt zur Wirklichkeit dieses Landes zu finden, schuf ein enormes Vakuum, in das Sendero eindringen konnte. Der entscheidende Wendepunkt ist wahrscheinlich 1987-89 anzusiedeln, als die Parteien, die eine solide soziale Basis hatten, nämlich die APRA und die Vereinigte Linke, in die Krise gerieten. In der vordersten Linie gegen Sendero blieben nurmehr die sozialen Organisationen, die NGOs und die Kirche. Also fingen sie an, Priester, Leiter von NGOs und vor allem Anführer von Volksorganisationen umzubringen. Gleichzeitig drang Sendero in nicht organisierte Gruppen ein, vor allem in die wachsende Schicht der Armen, die vor dem Elend auf dem Land in die Stadt fliehen.

Darunter sind doch auch Leute, die gerade vor Sendero fliehen.

Natürlich, aber sie fliehen auch vor der Armee. Für diese absolut Armen kann der kriegskommunistische Diskurs attraktiv sein. Zumindest wird Ordnung geschaffen: Es gibt keine Kriminalität mehr, keine Streitereien zwischen Nachbarn und eine gewisse Würde in der Gesellschaft.

Sendero spricht von der Machtergreifung noch in diesem Jahrzehnt.

Daran glaube ich nicht. Die peruanische Gesellschaft ist trotz allem sehr komplex, und die internationale Konstellation begünstigt das Sendero-Modell gar nicht. Drittens sind die Vorstellungen der Bevölkerungsmehrheit nicht auf der Linie von Sendero. Ich weiß nicht, welche Katastrophen noch passieren müssen, damit er attraktiv erscheint.

Wie kann man Sendero am effizientesten begegnen?

Bis zum 5.April hätte ich gesagt: Der beste Weg führt über eine demokratische Befriedungsstrategie unter Beteiligung der organisierten Bevölkerung. Aber das demokratische Modell ist jetzt ungangbar. Der Staat hat hier zwölf Jahre lang den Militärs den Kampf gegen Sendero überlassen. Militärisch ist ein Sieg über Sendero aber nur durch einen Völkermord möglich. Durch die Ausweitung der Repression allein kannst du ihm nicht begegnen. Darauf ist Sendero eingestellt, es steht sogar in den Dokumenten: „Presidente Gonzalo“ hat gesagt, für den Schritt vom strategischen Gleichgewicht zur Offensive kann ein Völkermord nur nützen. Wir würden also zum Takt des Sendero tanzen, und das ist ein Tanz, den Sendero besser beherrscht als die Militärs.