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Wenn der Süden spricht...

Developing Stories: Sechs Beiträge des ARD-Projekts „Eine Welt für alle“  ■ Von Ralf Schröder

Herr Schetting vom Bonner Entwicklungshilfeministerium war sauer. Anfang April hatte er ein Wochenende geopfert, um in der Evangelischen Akademie Arnoldshain sechs Filme in Augenschein zu nehmen, die unter dem Sammeltitel Der Süden über sich · Developing Stories angekündigt waren. Er sei „auf die falsche Hochzeit“ gelockt worden, befand der Profi vom Rhein, die Beiträge seien „entwicklungspolitisch nicht relevant“. Gesendet werden sie trotz der halboffiziösen Schelte. Und zwar im Rahmen des ARD-Projektes „Eine Welt für alle“. Neben der Dokumentation Letzte Ausfahrt Rio enthält das Paket auch die Lindenstraße: Dort begann Hubert Koch in Folge 332 damit, „vier Wochen Müll zu sammeln“, um „der Öffentlichkeit die Müllproblematik vorzuführen.“

So wenig sich Hubert von scheiternden Klimakonferenzen beeindrucken läßt, so sehr pfeifen die Developing Stories auf die hiesigen Renner in Sachen Umwelt und Entwicklung. Die Monster, die im Blick der Nordhalbkugel als Dinge namens Ozonloch, Überbevölkerung oder Müllberg ihr Unwesen treiben, sind nicht ihr Thema. Von den Philippinen bis zum Libanon: Der Horror, den die dortigen FilmemacherInnen eingefangen haben, ist der der sozialen Zusammenhänge.

In dem philippinischen TV-Film Lucia geht es um eine Familie, die nach einer Ölpest ihr Fischerdorf in Richtung Manila verläßt. Manila ist Apokalypse. Lucias Vater wird vom Militär erschossen. Tochter Jenny arbeitet bald als Prostituierte. Abdon, Lucias jüngster Sohn, will sich als Laufbursche für Drogenhändler durchschlagen. Er stirbt bei einer Razzia. In der Schlußszene flüchtet Lucia, den Rest der Familie um sich geschart, erneut. Vor ihrer Brust trägt sie eine Madonnenfigur. Als Produzent George Santos bei der Vorab-Aufführung gefragt wurde, ob die Dramaturgie nicht ein wenig dick auftrage, antwortete er: „Ihr hattet hier 45 Jahre Frieden. Was der Film zeigt, passiert bei uns täglich.“

Was während der letzten 16 Jahre täglich in Beirut passierte, hat die palästinensische Filmemacherin Mai Masri gemeinsam mit ihrem Ehemann Jean Chamoun in Geiseln des Krieges skizziert. Der Krieg ist vorbei und doch noch da. Die Kamera dokumentiert, was Mitglieder einer Hausgemeinschaft aus Palästinensern, Kurden, Libanesen — Christen und Moslems — erzählen: über die Rekrutierung von Kindern, vergiftete Brunnen, Autobomben-Attentate. Über eine Miliz, die bei einer italienischen Firma für die Erlaubnis kassierte, nördlich der Stadt Giftmüll zu deponieren. Im Bild schließlich ein von westlichen Bauunternehmern entworfenes Modell der wiederaufgebauten Stadt: in der postmodernen Orgie aus Glas und Aluminium sind die Geschoßkrater verschwunden — und mit ihnen Beirut.

Sao Paulo, Rio, der Amazonas sind noch da. Das Verschwinden ist auch hier im Gange. Bewaffnete zerren eine Handvoll Kinder aus einem alten VW-Bus, zwingen sie vor eine Mauer und feuern ihre Schrotflinten ab. Dann fährt die Kamera für zwei Minuten ein Flußufer entlang. Im Wasser dümpeln, soweit das Objektiv reicht, Baumstämme. Schiere Quantität, vorher Regenwald. Schuldige? Sie tauchen in Octavio Bezerras Film Im Schuldenturm nur als Begriffe auf: Korrupte Potentaten, fortgesetzte Kolonisierung durch Schuldendruck. Stereotype aus der Historienkiste der Kolonialkritik? Der Regisseur: „Die aktuelle Konsequenz der 500 Jahre“.

Die Konsequenzen aus 25 Jahren „Grüner Revolution“ grassieren in Indien. Den sozialen Folgen hochintensiver Großflächenlandwirtschaft unter der Ägide von Agrobusiness und Großgrundbesitz spürt die Regisseurin Manjira Datta nach. Der Filmtitel Saat des Reichtums, Saat des Elends deutet an, was Sache ist: Der Versuch, bei der Agro-Industrialisierung mitzuhalten, führt für kleine Bauern massenhaft in den Ruin. Als Wanderarbeiter bevölkern sie Eisenbahnzüge, die sie zu den Monokulturen des Pandschab bringen. Einer von ihnen stellt fest: „Das Wunder hat nicht funktioniert.“

Auf ein solches hoffen die Fernsehmoderatoren Errol und Tony gar nicht erst. In Christopher Lairds Film Kampf den Seelenkäufern sind sie auf verschiedenen Karibikinseln unterwegs, um herauszubekommen, ob die TV-Programme überall so trostlos amerikanisch sind wie auf Trinidad. Der Direktor eines von US-Evangelisten gesponsorten Senders auf Santa Lucia läßt auf die Satellitenprogramme aus dem Norden nichts kommen. In Kuba sieht's besser aus, dort machen die Leute in Video-Zentren ihre Filme selbst. In Miami erklärt ihnen der Boß von TV Marti, er sei dabei, Kuba zu unterwandern. Mit 80 Millionen Dollar Jahresetat könne er dies preiswerter als die Armee. Mit „Kampf“ indes, wie der deutsche Titel verheißt, hat die Erkundungsreise wenig zu tun. Eher mit einer selbstironisch inszenierten Suche „nach einem Stück karibischer Identität“ (Laird), die weiß, daß sie schlechte Karten hat.

Gegenüber all dem will der afrikanische Beitrag Rabi so gar kein Problemfilm sein. Regisseur Gaston Kabore klinkt sich mit Kamera und Mikro ins Leben einer (fiktiven) Dorffamilie ein: Für den neunjährigen Rabi dreht sich alles um eine Schildkröte, die sein Vater mitgebracht hat. Zu Hause sperrt er sie ein, um sie nach einigen Tagen auf einem entfernten Hügel endgültig freizulassen. Warum? „Weil ich keinen Gefangenen haben will“, sagt Rabi. Das ist alles und erinnert an eine falsche Idylle. Kabore sieht es anders: „Afrika ist nicht nur Dürre und Hunger. Manchmal sind wir auch glücklich dort.“ Der Süden über sich.

Im Schuldenturm, heute, 10 Uhr; Rabi, 9.5., 14 Uhr; Saat des Reichtums, Saat des Elends, 10.5., 10 Uhr; Kampf den Seelenkäufern, 17.5., 10 Uhr; Geiseln des Krieges, 24.5., 10 Uhr; Lucia, 24.5., 23 Uhr.

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