Warten auf die Götter

Bei der Eishockey-WM wird ein von Samuel Beckett wohlbekanntes Thema variiert/ Geredet wird vornehmlich über die, die nicht da sind, die noch kommen, möglicherweise aber auch nicht  ■ Aus Prag Peter Unfried

Ein taktischer Schachzug der Italiener ist in diesen Tagen fehlgeschlagen. Zwei Plätze in deren Aufgebot waren, um künftige Gegner zu erschrecken, freigehalten worden, doch nun mußte Steve Smith, der italienische Assistenzcoach, geknickt zugeben, was nicht länger zu verheimlichen war: „Es kommen keine NHL-Spieler mehr.“ Die Italiener haben nämlich überhaupt keine Spieler in Amerikas Weltliga des Eishockeysports, und im Moment ist das nicht einmal ein Nachteil. Im Gegenteil, sie ersparen sich damit Ärger und Unruhe. Die Deutschen übrigens auch. Jene hätten zwar mit dem ehemaligen Kölner Uwe Krupp einen, der bei den Besten der Besten mitmachen darf, doch der sagte schon lange vor den Tagen von Prag ab. Für fast alle anderen Teams aber gilt im Moment noch, daß sie selbst nicht recht wissen, ob überhaupt und wenn ja, wer noch kommt.

Am härtesten hat es, wie stets, die Nordamerikaner getroffen. Bei den Kanadiern spielt Goalie Grant Fuhr lieber Golf, Verteidiger Al McGinnis hat aus „privaten Gründen“ abgesagt, und so weiter. Die in Prag sind, rekrutieren sich notgedrungen aus den Teams, die seit längerem aus dem Stanley-Cup ausgeschieden sind, mithin also den Gurkentruppen der NHL. Noch trauriger ist US- Coach Tim Taylor. Er hat gerade mal sieben Cracks aus der National Hockey League dabei, der Rest kommt von den unterklassigen Farmteams oder der Uni. Dementsprechend spielte der zusammengewürfelte Haufen auch bisher. Gegen Italien gewannen die US-Boys zwar noch, aber nur, weil die Italiener das Tor nicht trafen, und bereits gegen die deutsche Mannschaft wurden Taylors Jungs beim 5:3 böse auseinandergewürfelt.

Einzige Rettung: Nachschub aus der NHL! Assistenztrainer John Cunniff hat bereits heiße Ohren vom vielen Telefonieren, aber noch keinen Anschluß unter irgendeiner Nummer: „Ich hab den einen oder anderen einfach noch nicht erreicht.“ Das Problem ist offensichtlich: Die Spieler haben nach einer langen und strapaziösen Saison wenig Lust, in Europa ein paar für sie bedeutungslose Spielchen zu absolvieren. Andere „konnten wir nicht nehmen, weil ihr Vertrag ausläuft“ (Cunniff). Denn verletzen sich die Spieler, ohne einen längerfristigen Vertrag zu besitzen, ernsthaft, sind sie weg vom NHL-Fenster. Für Cunniff ist da klar, daß jene zuallererst „an ihre Familien und an ihre Karrieren denken“. Überhaupt: Was ist schon eine WM? „Vor zwei Wochen hatten wir nicht einmal gedacht, daß wir überhaupt sieben her bekommen“, relativiert John Cunniff die unausweichlichen Fragen nach den Superstars.

Brett Hull wäre so einer, ein Mittelstürmer wie aus dem NHL-Bilderbuch, und soeben mit den St. Louis Blues im Halbfinale der Norris Division, was dem Achtelfinale des Stanley-Cups entspricht, gegen Chicago gescheitert. „Tja,“ meint ein unverbindlicher Cunniff, „jedes Team würde Brett gerne dabei haben. Schließlich schießt er viele Tore.“ Aber? „Es ist verdammt schwer, diese talentierten Offensivkräfte hierherzubekommen.“ Siehe oben.

Wobei die Auswahl längst nicht so groß ist, wie man meinen könnte. Gegenwärtig gibt es in der NHL nämlich ganze 99 US-Amerikaner, dagegen aber 417 Kanadier sowie diverse Russen, Tschechen, Finnen und Schweden.

Auf letztere wird in Prag und Bratislava ebenfalls sehnsüchtig gewartet. Schwedens Assistenzcoach Curt Lundmark hat noch vier Plätze frei: „Die wollen wir mit zwei Stürmern und zwei Verteidigern füllen.“ Aus der NHL, versteht sich. Falls ihre Clubs Washington und Hartford noch rechtzeitig ausscheiden, kommen Calle Johansson und Mikael Andersson, falls nicht, dann nicht. Gleiches gilt für die tschechischen Superstars Ruzicka (Boston Bruins) und Jagr (Pittsburgh Penguins), sowie eine ganze Reihe von Finnen. Deren größter, Jari Kurri, sitzt beruhigenderweise nach dem Ausscheiden der Los Angeles Kings gegen Angstgegner Edmonton bereits im Flugzeug. Allerdings: Die Vorbereitungsphasen jener Teams, die die zerschlagenen Nasen vorn zu haben pflegen, entsprechen unter diesen Umständen selbstredend in keiner Weise der Gewichtigkeit des Ereignisses. Oder vielleicht doch? Und die Allergrößten, die Götter der Branche, die Yzerman, Lemieux, Messier, bleiben eh fast immer von vorneherein zuhause. „Es läuft halt einmal so und das andere Mal anders“, sagt John Cunniff, der es wissen muß. „Vielleicht kriegt ja Kanada eines Tages auch wieder Wayne Gretzky.“ Nun, dessen L.A. Kings sind, wie gesagt, zwar aus dem Stanley-Cup ausgeschieden; wahrscheinlich ist aber, daß es auch heuer eher so als anders läuft. Peter Unfried

Gruppe B: Schweiz - Kanada 1:1 (0:0, 0:1, 1:0); CSFR - Frankreich 3:0 (0:0, 1:0, 2:0); GUS - Norwegen 3:2 (1:1, 0:1, 2:0)

Gruppe A: Finnland - Polen 11:2 (4:0, 2:1, 5:1); Deutschland - USA 5:3 (1:2, 3:0, 1:1); Schweden - Italien 0:0