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Der 1.Mai als Waffenschau der Polizei

■ Der Taksim-Platz im Herzen Istanbuls war gestern hermetisch abgeriegelt, das Zentrum der Stadt entvölkert

Istanbul (taz) — Die Demonstration der Staatsgewalt am 1.Mai in Istanbul ist perfekt. Der Taksim-Platz, eigentlich ein belebtes Zentrum im Herzen Istanbuls, gleicht einer Stätte, wo im Rahmen einer Polizeiparade neuestes polizeiliches Waffen-Know-how zur Schau gestellt wir: die Puma-Helikopter, die über dem Platz kreisen, die aus Deutschland importierten Polizeischäferhunde und die Wasserwerfer. Die Entvölkerung des Stadtzentrums ist der Staatsmacht — immerhin waren 15.000 Polizisten im 1.Mai-Einsatz — einwandfrei gelungen. Schließlich hat man auch praktisch geprobt: tags zuvor ließen sich hier Polizisten ganz professionell von den Helikoptern auf die Dächer des Atatürk Kulturzentrums niederbaumeln.

Am 1.Mai wird ernst gemacht. Selbst die städtischen Busse dürfen das Zentrum nicht anfahren. Hermetisch hat die Polizei den Platz abgeriegelt. Betreten des Platzes nur nach Gesichts- und Ausweiskontrolle. Der Platz, den werktags hunderttausende Menschen passieren, ist ausgestorben. Außer der grünen Polizei vielleicht noch hundert andere Personen. Beim ersten Eindruck wirken die restlichen Hundert wie Mitglieder eines Blindenvereins. Sie tragen alle ein schillerndes, gelbes Armband mit schwarzer Aufschrift. Beim näheren Hinsehen liest man die Aufschrift „Presse“. Der Gouverneur hat eigens für den 1.Mai besondere Journalisten-Armbinden mit Stempel austeilen lassen. Damit — wie sonst üblich — das Journalistenvolk nicht verprügelt werde. Die Wasserwerfer waren mit violetter Farbe aufgefüllt. „Wir besprühen jeden, der illegal demonstriert“ drohte tagelang der Polizeichef Istanbuls: „Ein lila Fleck ist Beweis für Teilnahme an einer illegalen Demonstration. Jeden, der einen lila Fleck hat, werden wir festnehmen.“ Die linksradikalen Gruppen, die um jeden Preis auf dem traditionellen Taksim-Platz und nicht auf der genehmigten Kundgebung in Gaziosmanpasa, am Ende der Stadt, demonstrieren wollten, hatten nicht die geringste Chance.

Doch was ist das? Drei alte Herren mit roten Nelken in ihren zittrigen Händen haben es geschafft, illegal zu demonstrieren. Sie bewegen sich auf eine Sitzbank, um sich dort niederzulassen. Der Pulk des Blindenvereins stürzt sich auf die feierlich gekleideten Altkommunisten. An Halil Oyman, einer der Gründer der Kommunistischen Partei, erinnere ich mich vom vergangenen 1.Mai. „Letztes Jahr haben sie mich festgenommen, weil ich hier rote Nelken niedergelegt habe. Dreizehn Stunden war ich in Haft. Ein junger Kommissar — er hätte mein Sohn sein können — hat mir acht Ohrfeigen verpaßt.“ Die Zivilpolizisten — ein Dutzend beäugen das Gespäch — sind schlauer geworden. Dieses Jahr keine Mißhandlung von Achtzigjährigen vor versammelter Presse. Ömer Erzeren

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