EWR-Abkommen nimmt letzte Hürde

■ Vertrag über weltgrößten Wirtschaftsraum aus EG und EFTA wird heute ratifiziert/ Einigung über Alpentransit

Brüssel (taz/afp/dpa) — Der weltgrößte Wirtschaftsraum aus 19 Ländern mit 375 Millionen Einwohnern ist perfekt: Nach zweieinhalbjährigen zähen Verhandlungen kann das Vertragswerk zwischen den 12 EG- Staatem und den sieben Ländern der Freihandelszone EFTA heute in Porto unterzeichnet werden. Am Donnerstag räumten EG-Verkehrskommissar Karel Van Miert und der österreichische Verkehrsminister Viktor Klima das letzte Hindernis aus dem Weg: Die Zahl der Transitgenehmigungen für schwere Lastwagen aus der EG. Nach der erzielten Einigung können in diesem Jahr 1,264 Millionen Lkws durch Österreich fahren. Damit werden heute in Porto auch die Verkehrsvereinbarungen der EG mit Österreich und der Schweiz ratifiziert.

EG und Österreich hatten sich bereits im vergangenen Jahr auf das Transitabkommen geeinigt. In letzter Minute drohte jedoch der Vertrag zu scheitern, da beide Seiten bei der Berechnung der Transitgenehmigungen auf unterschiedlichen Zahlen gekommen waren. Die EG beanspruchte 1,3 Millionen Fahrten über die Alpen; Österreich wollte nur 1,19 Millionen zugestehen. Dem neuen Abkommen zufolge werden die Transitfahrten auf dem Stand von 1991 eingefroren.

Der Streit um Islands Fischgründe, auf die sich die EG-Staaten vergeblich einen Zugriff sichern wollten, das Ringen um eine rechtliche Mitsprache der EFTA, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) letztendlich als unzulässig erklärte, oder der Streit um eine schließlich auf zwei Milliarden ECU (davon 500 Mio. als Zuschuß) festgesetzte Finanzspritze der EFTA-Staaten zugunsten der ärmeren EG-Länder, ließen die EWR-Verhandlungen mehr als einmal an den Rand des Scheiterns geraten. Damit kommen die EFTA-Staaten jetzt in Zeitnot, um die Vereinbarung rechtzeitig zum Jahreswechsel zu ratifizieren und die rund 1.400 anstehenden EG- Rechtsakte in nationales Recht umzusetzen.

Das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum ermöglicht den EFTA-Staaten den Zugang zu einem gemeinsamen Binnenmarkt mit der EG. Im EWR können Waren, Dienstleistungen und Kapital ungehindert von nationalen Reglementierungen zirkulieren. Insgesamt bringen es die EG- und EFTA-Staaten zusammen auf 40 Prozent des gesamten Welthandels. In institutionellen Fragen hat die EG ihren neuen Partnern jedoch nur begrenzte Zugeständnisse gemacht. Die EG-Institutionen erlassen weiterhin selbständig neue Rechtsakte, die auch für den gesamten EWR Geltung haben. Für ihre Interpretation ist der Europäische Gerichtshof zuständig; ein eigens einzurichtendes EFTA-Gericht entscheidet nur über Streitfälle innerhalb der EFTA. Auch stellt der EWR für die EFTA-Staaten keine Zollunion dar: Die Grenzkontrollen, die ab 1993 innerhalb der EG abgeschafft werden, bleiben zur EFTA bestehen.

So wird der EWR immer mehr zum europäischen Warteraum für Beitrittskandidaten. Mit Österreich, Schweden und Finnland haben schon drei EFTA-Staaten den Beitritt zur EG beantragt. Die schweizerische Regierung strebt dies ebenfalls an, und in Norwegen wird die Zahl der EG-Befürworter immer größer. Die EFTA-Staaten erwarten von dem gemeinsamen Markt erhebliche Wachstumsgewinne für ihre Wirtschaft. Der Schweizerische Bankenverein hat für das Alpenlandes bis zum Jahr 2000 ein zusätzliches Wachstum des Bruttoinlandsproduktes von vier bis sechs Prozent errechnet. Zudem haben die Banker einen Preissenkungseffekt von rund sechs Prozent prognostiziert, weil neue Anbieter auf dem Markt für mehr Konkurrenz und billigere Preise sorgen. Doch das Vertragswerk setzt die EG- und EFTA-Wirtschaft auch einem höherem Konkurrenzdruck aus. In einzelnen Branchen sind daher Probleme bereits vorprogrammiert. Sensible Wirtschaftsbereiche wie die Landwirtschaft oder Islands Fischerei müssen den Konkurrenzdruck jedoch nicht fürchten — sie sind vom EWR weitgehend ausgenommen. Erwin Single