„Die Kraft kommt aus Sprache“

■ Theater-AG Walliser Straße zeigt „Der Turm“, ziemlich frei nach Peter Weiss

Wie kann man auf ein paar Quadratmetern Schultheater-Bühne zeigen, daß zwei Schauspieler nur zwei Seiten derselben Person zeigen — die aufsässige und die angepaßte? Wie kann man eine Methapher wie den „Turm“ begreiflich machen, die selbst aus mehreren Bildern und 'zig Assoziationen besteht? Die Schultheater- Gruppe Walliser Straße hat sich ziemlich viel vorgenommen. Denn „Der Turm“ von Peter Weiss, das ist keine Schultheater- Vorlage.

Aber auch an diesem Proben- Sonntagmorgen, vor einer Woche, sind alle gekommen, pünktlich um elf: die Jugendlichen, die vor vier Jahren einmal die Theater-AG am Schulzentrum Walliser Straße waren, die meisten inzwischen StudentInnen, Zivis, junge Berufstätige. Und natürlich Holger Müller, ihr Lehrer für „Darstellendes Spiel“.

Sie haben sich entschlossen, sich diesem Stück noch einmal zuzuwenden, ziemlich frei nach Peter Weiss, schließlich geht es um Erziehung, um Zurichtung. Wer wollte sich da sklavisch an Vorlagen halten! Vor das Stück hat die Gruppe sechs eigene Szenenbilder gesetzt: Menschen werden geboren, fallen in die Welt, neugierig, tanzend, geraten unter die freundlich-bestimmte Knute von Verwalterin und Zirkus-Direktor im Turm, die als Eltern-Figuren stehen können. Es geht um Erziehung, um Dressur auf dem Ball in der Zirkusvorstellung des Turms, um Ausbruch, Flucht, schließlich Rückkehr und Kampf.

In freien Improvisationen, in Darstellungs- und Bewegungsübungen hat sich die Gruppe um Holger Müller dem Stück und seinen abstrakten Botschaften genähert: Was passiert, wenn ich folgen soll und nicht will? Was heißt heute Druck und Zurichtung für Schüler, die ihre Arbeitsgemeinschaften und Kurse wählen, Taschengeld und Einzelzimmer haben, ihre Lehrer duzen? Im Programm stehen als Einführung Texte von Peter Weiss und Gedanken der SchülerInnen zum Stück, unverbundene Anstöße wie Was gefällt dir an den Schuhen denn nicht? — Alles. — Alles ist keine Antwort!

Während Pablo und Carlo, die die zwei Seiten eines Menschen darstellen, in Einzelarbeit mit dem so freundlichen wie genauen Holger Müller proben und an den Szenen mit den Eltern feilen, geht der Rest der Truppe nach nebenan und entwickelt eigene Bilder: Wie kann man ohne Text zeigen, was mit den „Artisten“, dem Fußvolk, geschieht zwischen Träumen und Zwang? Musik aus Fellinis „La Strada“ wird unterlegt; 2,5 Minuten Bewegung und Pantomime, sechs Bilder gleichzeitig. Der Maler zeichnet seine Traumfrau, zerreißt, zerfetzt das Papier.

Eine weiße Dame rennt, irrt, mit hochgezogenen Schultern, ziellos und vergeblich durch den Raum. Der Rockstar hat am ehesten ein optisches Vorbild. Die Frau ohne Spiegel zieht sich um, an, aus, an, zeigt sich, will erkannt sein, zieht sich um. Eine Frau schwankt: Kittel oder enger Rock? Kopftuch oder mondäner Hut? Wer bin ich? Nebenan weisen gerade der Direktor mit überkippender Stimme und abgspreiztem Finger den Ausbrecher zurecht, trägt die eisige Verwalterin den Kopf sehr hoch.

Pablo und Carlo suchen einen Weg, sich als sehr verschiedene Häften erkennbar zu machen. Der Zauberer, die eigentlich große Macht des Turms, ist eine zierliche junge Frau mit kerzengeradem Rücken und disziplinierter Körpersprache bis in die Fingerspitzen. Sie sieht ihre Rolle so: „Ich will, daß er gehorcht, ich verlocke ihn. Die Kraft kommt aus der Sprache, nicht aus der Gewalt.“ S.P.

Heute, 20 Uhr, Waldorf-Schule, Touler Str.