Immer uffn Rüssel jehaun

■ Berlins Boxer verpassen Brandenburg beim 17:13 im ersten Finale der Meisterschaft einige Prügel

Charlottenburg. „Leber. Oktay, Leber!“ Die Empfehlungen aus dem Publikum bleiben nicht ungehört. „Hau ihn uffn Rüssel, er wartet ja drauf!“ Und Oktay tut, wie ihm geheißen. Im Ring entspinnt sich eine wilde Keilerei, die Halle tobt begeistert mit. Hier geht es um Kraft, Schweiß und Blut. Linker Jap, rechts nachgesetzt, gleich darauf die Deckung hoch. Angetäuscht, abgedreht, vorgesteppt! Und mit einem wilden Schwinger den halben Ring rasiert. Der Brandenburger ist ebenfalls nicht faul, segelt mit vollem Schwung in seinen Gegner rein, wird von einer Kopfnuß durchgeschüttelt, mit einem trockenen Leberhaken zurechtgestutzt. Und nach dem Schlußgong stellt sich Oktay vor das Publikum mit erhobenen Armen und läßt das Becken kreisen. Und die Berliner Männer wissen wieder, wofür sie leben.

Dennoch war der 17:13-Sieg der Berliner noch nicht die Entscheidung. Wohl ein komfortabler Vorsprung, mit dem man ruhigen Blutes in zwei Wochen nach Frankfurt/ Oder reisen wird. Aber auch Schwerin hatte im Halbfinale dieses Ergebnis vorgelegt, doch Brandenburg konnte zu Hause noch ausgleichen und kam schließlich per Losentscheid in dieses Finale. Das wollten sich die Berliner ersparen. „Wir gewinnen mit 18:12“, hatte Landestrainer Bubi Dieter vorher versprochen, doch Dirk Krüger unterlag nach gutem Kampf gegen den Brandenburger Sygmund, und der 19jährige Jens Hildebrandt sah gegen den Leichtgewichtsmeister Marco Rudolph kein Land. Mit gesammelter Wut erledigte der Berliner Nadir Kurt den eigentlich höher eingeschätzten Sven Platzack. Und der Nachmittag wurde zunehmend trübe für die Brandenburger. Sven Ottke ließ sich da nicht lumpen, obwohl der Spandauer lieber gegen Weltmeister Thorsten May angetreten wäre. Mit Tilo Adams machte er wenig Federlesens. Als die Schwergewichte durch die Seile schlüpften, rumorte es im Publikum noch einmal kräftig. Hier der polnische Koloß Jozef Wlodarczyk, ein nahezu kugelförmiger Kämpfer. Dort stieg in schwarzem Umhang und martialischem Iro-Schnitt der jugoslawische Schrank Zeljko Mavrovics für Berlin in den Ring. Der Brandenburger Pole machte sich klein und ließ sich verprügeln. Nur selten lugte er hinter seiner Deckung hervor, schlug dann wild um sich und rollte sich wieder zusammen. Das Publikum, das zu einem Großteil aus kurzen und überfütterten Männern bestand, erkor ihn sich bald zum Volkshelden. Munter prasselten die Schläge des Jugoslawen auf seine Deckung, aber der Pole hatte genug im Leben durchgemacht, um die Hände auf jeden Fall oben zu lassen. Brandenburg fährt mit einem blauen Auge nach Hause und wird dort zwei Wochen lang auf Rache sinnen.

In Berlin aber boomt das Boxen. Durch den Beitritt der Ostgebiete sind uns nicht nur Boxer, sondern auch Zuschauer zugewachsen, für die eine Auseinandersetzung unter Männern ganz selbstverständlich ist. Nicht nur in der Kneipe, sondern auch im Ring. Ostberliner Familien machten ein vergnügtes Picknick auf den billigen Rängen, während im „Casino“ das Bier in Strömen floß. Dort zeigte sich ganz ungeniert eine Männerwelt, die jedem Volkskundler oder Männerforscher die Tränen in die Augen treiben würde. Schweinehund-Sweatshirts gaben sich die Hand, Matschnasen zeugten von frühem Leid, Goldkettchen schlummerten im wolligen Brusthaar. Wir sehen uns wieder, spätestens in Brandenburg. Olga O'Groschen