Litauen lockt westliche Investoren

Die baltische Republik öffnet sich zum Westen/ Hohe Inflation, aber geringe Arbeitslosigkeit/ Deutschland gilt als wichtigster Westhandelspartner/ Erste ausländische Investitionen in Vilnius  ■ Aus Vilnius Klaus Bachmann

Es ist nicht gerade das Flair von Weltoffenheit, das der Flughafen von Vilnius bei der Ankunft ausstrahlt. Ein chaotisch wirkendes Stahl-Betongerüst, einige klapprige, noch nicht umbemalte Aeroflotmaschinen, ein noch klapprigerer Bus, der die Fluggäste erst — vorbei an umgekippten Mülltonnen und Gebäuderuinen — um das Abfertigungsgebäude herum zur Paßkontrolle fährt. Doch der Flughafen hat ein modernes Herz: Seit kurzem investiert dort American Airlines, und beim Abflug sitzen die Fluggäste in einem kleinen, aber modernen Abfertigungsgebäude mit Duty-free- shop und Minibar in bequemen schwarzen Ledersesseln.

Auch in der Stadt selbst machen sich erste Joint-ventures bemerkbar: Skandinavische Investoren betreiben in der Altstadt das Hotel Astorija, Coca-Cola stellt in der ehemaligen Staatsfabrik Utena alkoholfreie Getränke her, der französische Thomson-Konzern soll die Flugsicherung übernehmen, abgesichert mit französischen Regierungsbürgschaften, die Vitus Landsbergis bei seinem jüngsten Frankreich-Besuch ausgehandelt hat. An der Regierungszeitung 'Lietuvos Aidas‘ hält der französische Verleger Robert Hersant Anteile. Daneben gibt es zahlreiche kleine Handelsbetriebe, die mit gemischtem Kapital arbeiten.

Deutschland sei Litauens wichtigster Handelspartner im Westen, betont Arvydas Lescinskas, Abgeordneter der Liberalen und Mitglied des Wirtschaftsausschusses des litauischen Parlaments. Nach dem Willen der Regierung können ausländische InvestorInnen sich auch an der Privatisierung von Staatsbetrieben beteiligen, einige besonders schmackhafte Brocken sollen sogar nur gegen Devisen privatisiert werden, so etwa eine staatliche Maschinenbaufirma.

Nach polnischem Vorbild werden die Staatsbetriebe zunächst in Aktiengesellschaften verwandelt, die Aktien dann an private Eigentümer abgegeben. Wie in Polen stellt die korrekte Bewertung des Betriebsvermögens auch hier das größte Problem dar. Von den Staats-AG sind bisher immerhin 10 bis 15 Pozent der Aktien privat vergeben, berichtete unlängst Premier Wagnorius dem Parlament. Bis Jahresende sollen es 50 Prozent sein. Bis zu 30 Prozent der Anteile können die Belegschaften erwerben.

Das Problem des Kapitalmangels hat man indessen nach tschechoslowakischem Vorbild mit Gutscheinen, sogenannten „Kapitalsparbüchern“, zu lösen versucht. Zum Investieren erhält jede BürgerIn 5.000 Rubel vom Staat, die durch eigene Ersparnisse aufgestockt werden können. Die Belegschaften erhalten zusätzliche Vergünstigungen, je nach Betriebszugehörigkeit. Besonders wichtig ist dies bei der Privatisierung der Kolchosen und Sowchosen, die häufig unter verschiedene Belegschaftsfirmen aufgeteilt werden. Daß Litauens Firmengründungsboom relativ reibungslos vonstatten geht, hängt damit zusammen, daß das Land trotz der relativ kurzen Zeit der Unabhängigkeit bereits über ein eigenes Handelsgesetz verfügt. Angelehnt hat man sich dabei am deutschen Handelsgesetzbuch, unterstreicht Lescinskas.

Trotzdem bringen Litauens Gesetze private Investoren häufig stark ins Schwitzen. „Man kann nicht einfach ein neues marktwirtschaftliches Gesetz in die alte kommunistische Rechtsordnung einpflanzen“, stöhnt ein polnischer Geschäftsmann. Nach wie vor gelten sehr rigide Steuergesetze, von denen Joint-ventures zwar teilweise befreit sind, die aber litauische InvestorInnen mit bis zu 75 Prozent des Gewinns belasten. Auch das Umfeld läßt aus Unternehmersicht stark zu wünschen übrig: Arbeitslosigkeit und damit Arbeitssuchende gibt es bisher nicht, die Inflation dagegen ist horrend, auch wenn offizielle Daten dazu weitgehend fehlen, da die Geldmenge nicht in Vilnius, sondern in Moskau produziert wird. Ende 1991 waren die litauischen Löhne — die höher liegen als in Rußland — im Vergleich zum Vorjahresende um das 7,7fache gestiegen, die Preise kletterten je nach Warenart um das Acht- bis Zehnfache. Inzwischen sind zwar bereits Privatbanken und sogenannte Kommerzielle Banken (Privatbanken mit Mehrheitsbeteiligungen von Staatsbetrieben) entstanden, doch läßt die Konkurrenz noch zu wünschen übrig. Statt pauschaler Provisionen ziehen manche ihren Kunden von jeder Kontobewegung bis zu fünf Prozent ab. Die Preise bestimmen die Betriebe selbst, nur für Grundnahrungsmittel gelten Höchstpreise.

Die Einführung einer nationalen Währung, die die Nationalbank vorbereitet, ist nach Meinung der litauischen Regierung vor diesem Hintergrund mehr als ein Akt nationaler Symbolik. Vor einer Woche ist Litauen wie die anderen früheren Sowjetrepubliken als Mitglied in den Internationalen Währungsfonds aufgenommen worden. Ausländische Kredite in Verbindung mit einem Antiinflationsprogramm, das der IWF bisher allen osteuropäischen Ländern auferlegt hat, machen aus litauischer Sicht nur dann Sinn, wenn Litauens Regierung imstande sein wird, die Geldmenge selbst zu bestimmen. Zur Zeit geschieht das noch in Moskau.

Nach Meinung der IWF-Experten soll das aber auch so bleiben. Kaum jemand zweifelt nämlich daran, daß Litauen auch nach der Einführung der eigenen Währung „Lit“ eine hohe Inflation haben wird. Denn die Monopolbetriebe aus den Zeiten der Planwirtschaft sind immer noch imstande, Preiserhöhungen auch bei geringer werdender Nachfrage durchzusetzen — einfach durch die Drosselung der Produktion. Das führt dann automatisch zu Rezession, Arbeitslosigkeit und Stagflation. Einziger Ausweg ist eine schnelle Privatisierung, und zu der scheint Litauens Regierung entschlossen zu sein.