Zoff am 1.Mai jetzt auch in Ost-Berlin

286 Festnahmen bei Krawallen nach der „Revolutionären 1.-Mai-Demo“/ 4.500 Polizisten waren auf der Straße/ Übergriffe auch auf Unbeteiligte/ Gewalt hat im Vergleich zum Vorjahr abgenommen  ■ Von J. Goddar u. M. Schulze

Berlin (taz) — Der 1. Mai in Berlin endete in diesem Jahr mit einem Rekordergebnis: 286 Festnahmen verzeichnete die Polizei am Ende der traditionellen Krawalle, die in diesem Jahr nicht nur in Kreuzberg, sondern auch in den Ostberliner Bezirken Prenzlauer Berg und Friedrichshain ausgetragen wurden. Nach Polizeiangaben wurden 104 Beamte verletzt, einer habe ins Krankenhaus gebracht werden müssen. Über die Zahl der verletzten Randalierer, Passanten, Schaulustigen und Journalisten gibt es keine Angaben.

Im Anschluß an eine weitgehend friedliche „Revolutionäre 1.-Mai- Demonstration“ durch Kreuzberg, an der rund 15.000 Menschen teilnahmen, kam es schon am Nachmittag zu Krawallen rund um das Kottbusser Tor. Deutsche und türkische Jugendliche hatten zum Objektschutz abgestellte Polizisten mit Steinen und Flaschen beworfen. Die Polizei antwortete sofort mit Tränengas und Wasserwerfern, sperrte mehrere Straßenzüge ab und stellte den U-Bahn-Verkehr vorübergehend ein.

Nachdem sich die Situation am frühen Abend weitgehend beruhigt hatte, kam es später erneut zu Auseinandersetzungen. Vor allem türkische und kurdische Jugendliche, offensichtlich angestachelt durch die Rassenunruhen in Los Angeles, attackierten immer wieder die eingesetzten Beamten mit Flaschenwürfen und Sprüchen wie „Deutsche Polizisten — Mörder und Faschisten“. Die Ordnungshüter antworteten mit unverhältnismäßigen Übergriffen.

Augenzeugen zufolge warfen Beamte eine Tränengasgranate in ein arabisches Restaurant, die Fensterscheibe eines türkischen Imbisses wurde vom Wasserwerferstrahl zerstört. Opfer der teilweise unverhältnismäßigen Schlagstockeinsätze waren auch viele Jugendliche, die kaum älter als 13 Jahre alt waren. Die Oranienstraße war über Stunden fast vollständig abgesperrt; vor allem türkische AnwohnerInnen ohne Adressenangabe im Paß wurden nicht nach Hause gelassen. Polizeibeamte sprachen auch Journalisten einen Platzverweis aus und drohten ihnen mit polizeilichem Gewahrsam. Mehreren Fotografen wurde wiederum gedroht, ihnen die Filme abzunehmen, mit denen sie Festnahmen dokumentiert hatten. Gegen 0.15 Uhr wurde ein Kamerateam von RTLplus gezielt von einem Wasserwerfer unter Beschuß genommen und über den Gehweg gespült.

Während die Polizei in Kreuzberg überwiegend Schaulustige in Schach hielt, fuhr die krawallbereite Szene mit S-Bahn und U-Bahn überraschend in den Prenzlauer Berg. Am Rande einer autonomen Demonstration unter dem Motto „Der Osten schlägt zurück“ wurden Geschäfte geplündert, Bauwagen umgekippt und Autos demoliert. Weniger Demo-erfahren als ihre Kreuzberger KollegInnen, hatten es die Ladenbesitzer dort versäumt, ihre Schaufenster abzusichern. Mehrere Besitzer von demolierten, noch nicht abbezahlten Neuwagen prügelten sich mit den überwiegend aus dem Westteil stammenden Randalierern. Beamte des Bundesgrenzschutzes räumten mehrfach den Kollwitzplatz und schlugen dabei auf Gäste eines Szenecafés ein. Auch in Friedrichshain kam es abends in der Nähe besetzter Häuser zu Zoff. Schon am Nachmittag hatten sich in Ost-Berlin fünfzig Neonazis der „Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei“ (FAP) mit 200 Antifas Scharmützel geliefert. Die GegendemonstrantInnen verhinderten den von der FAP angemeldeten Aufmarsch, die Polizei eskortierte die Neonazis zum S-Bahnhof.

Berlins Innensenator Dieter Heckelmann (CDU-nah) schickte am 1. Mai gegen den anfänglichen Willen der Polizeiführung ein rekordverdächtiges Aufgebot von insgesamt 4.500 BeamtInnen und 500 BundesgrenzschützerInnen in die Schlacht. Noch am Mittwoch hieß es aus taktischen Erwägungen, daß „nur“ 3.500 Polizisten eingesetzt werden sollten. Kurzfristig hatte Heckelmann Verstärkung aus Niedersachsen angefordert. Von den 286 Festgenommenen wurden die meisten in den Morgenstunden wieder freigelassen. „Der Sachschaden liegt im Gegensatz zum Vorjahr deutlich unter der Millionengrenze“, teilte der Innensenator am Sonntag mit. Auch der Einsatzleiter räumte ein, daß die Gewalt deutlich abgenommen habe. Der Regierende Bürgermeister Diepgen (CDU) dankte der Polizei für „entschlossenes und umsichtiges“ Eingreifen.